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Erdkugel: Nord- und Mittelamerika

"Der Temperaturanstieg ist beispiellos"

Der "Hockey Stick" ist die bekannteste und wohl auch die umstrittenste Kurve der Klimaforschung: Sie verdeutlicht, wie massiv der Mensch in das Klima der Erde eingreift. Michael Mann ist der Schöpfer dieser Grafik: Er erzählt in einem Interview, wie es zu seiner Entdeckung kam.

Klima-Debatte 29.05.2015

Der Weg dorthin sei nicht geradlinig verlaufen, wie der US-Forscher betont. Sein Doktorvater sei Klimaskeptiker gewesen. Und auch er habe einige Zeit gebraucht, um an den menschengemachten Klimawandel zu glauben.
In Teil zwei des Interviews äußert sich Mann über die brisanten Folgen seiner Arbeit: der "Climate War" in Amerika.

Michael Mann

AAUP/M Mann

Zur Person

Michael Mann ist Professor für Meteorologie und Direktor am Earth System Science Center der Pennsylvania State University.

Am 27. Mai hielt er an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften einen Vortrag: "The Hockey Stick and the Climate Wars: The Battle Continues".

Ö1-Sendungshinweis

Über dieses Thema berichtete auch das Mittagsjournal am 28.5.2015.

science.ORF.at: 1998 wurde Ihr mittlerweile berühmtes "Hockey-Stick-Paper" veröffentlicht. Haben Sie das jemals bereut?

Michael Mann: Nein, definitiv nicht. Was ich allerdings nicht erwartet hatte, war, dass ich mich durch die Veröffentlichung einer wissenschaftlichen Erkenntnis plötzlich im Zentrum einer zänkischen politischen Debatte befinden würde. Mein Studium der Physik und Angewandten Mathematik hatte mich darauf schlichtweg nicht vorbereitet.

science.ORF.at: Zumindest haben Sie Jahre später bemerkt, der Hockey Stick sei zur "Karikatur" verkommen. Und ihr Fachkollege Jerry Mahlman, der den Begriff Hockey Stick geprägt hat, sagte, das sei rückblickend ein "kolossaler Fehler" gewesen. Warum?

Mann: Ich bin mir nicht sicher, ob es ein Fehler war. Dennoch denke ich: Wenn man so ein einfaches Label verwendet, stellt das die Wissenschaft simpler dar, als sie ist. Ein Hockeyschläger hat eine sehr einfache Form, aber in Wirklichkeit ist natürlich alles komplizierter. Dieser Umstand eröffnet die Möglichkeit zu verdrehten Darstellungen, mit dem einzigen Zweck, einer politischen Agenda zu dienen – ich vermute, dass Jerry das gemeint hat. Das ist jedenfalls das Einzige, was ich bereue: Die Klimaforschung wurde leider politisiert.

Temperaturverlauf vom Jahr 1000 bis 2000

GRID-Arendal

Manns Hockey Stick - rot: Thermometermessungen, blau: Rekonstruktion durch Klimaarchive, grau: Unsicherheit im Kurvenverlauf

science.ORF.at: Der Hockey Stick hat sich von der nüchternen Temperaturkurve zum veritablen Internetmem entwickelt. Was zeigt die Grafik?

Mann: Wir messen die globale Temperatur auf dem Erdball erst seit rund 100 Jahren mit Thermometern. In dieser Zeit hat sich die Atmosphäre um rund ein Grad erwärmt. Wenn wir wissen wollen, wie ungewöhnlich diese Erwärmung ist, müssen wir weiter zurück in die Vergangenheit blicken. Das geht nur, wenn man natürliche Klimaarchive auswertet – Baumringe, Korallen, Eisbohrkerne und Sedimente, die uns Aufschluss darüber geben, wie sich das Klima in der Vergangenheit verändert hat.

Genau das haben wir in den späten 90ern erstmals getan. Das Ergebnis war, dass die jüngste Erwärmung wirklich beispiellos ist. Die Temperarturkurve des Hockey Sticks beginnt vor 1.000 Jahren und fällt während des Mittelalters bis zur sogenannten kleinen Eiszeit ab. Ab dem 20. Jahrhundert macht die Kurve plötzlich eine Zacke nach oben. Die Temperatur steigt nun so rapide an wie noch nie zuvor. Das ist das Endstück des Hockeyschlägers, wenn Sie so wollen.

science.ORF.at: Was den Griff des Hockeyschlägers betrifft, gab es durchaus unterschiedliche Ansichten: Manche Forscher sagen, er sei viel weniger geradlinig, als es Ihre Analyse nahelegt.

Mann: Das hängt davon ab, welche Daten man verwendet. Ozeane zeigen beispielsweise weniger Temperaturschwankungen als das Land. Und natürlich macht es auch einen Unterschied, ob man sich auf die Tropen oder die gemäßigten Zonen konzentriert. Die bisher umfassendste Studie zu diesem Thema ist vor drei Jahren in "Nature Geoscience" erschienen. Sie bestätigt unsere Ergebnisse aus den 90ern recht gut, wie ich finde.

Natürlich ist die Forschung bei der Ausgangsfrage nicht stehen geblieben. Wir wollen jetzt wissen: Wie haben historische Klimaveränderungen El Nino und den Jet Stream beeinflusst? Und warum äußert sich der Klimawandel in Europa anders als in Nordamerika?

science.ORF.at: Im IPCC-Report 2007 wurden neben Ihren Arbeiten auch die Studien von einem Dutzend anderer Teams erwähnt. Die Temperaturkurven ihrer Kollegen sehen jedenfalls nicht immer aus wie Hockeyschläger.

Mann: Stimmt, aber eines haben alle gemeinsam: Das Endstück der Kurve zeigt steil nach oben.

science.ORF.at: Stimmt es, dass Sie als Dissertant noch am menschlichen Einfluss auf das Klima zweifelten?

Mann: Ja, damals war ich noch von meinem Doktorvater beeinflusst. Er war ein Klimaskeptiker, wie man heute sagen würde: also nicht davon überzeugt, dass sich der menschliche Einfluss auf das Klima eindeutig zeigen lasse. Man konnte diesen Standpunkt, um ehrlich zu sein, in den frühen 90er Jahren durchaus vertreten. Denn die Daten waren zu dieser Zeit noch lückenhaft.

Das ist übrigens der Grund, warum ich begonnen habe, mich für natürliche Klimaarchive zu interessieren. Ich wollte ursprünglich verstehen, wie die natürlichen Schwankungen des Klimasystems entstehen. Dass sie sich vom menschlichen Einfluss unterscheiden lassen, habe ich erst im Lauf meiner Forschungen entdeckt.

science.ORF.at: Sie haben vorhin erwähnt, die heutige Erderwärmung sei beispiellos. Allerdings war es in früheren Perioden der Erdgeschichte immer wieder sehr warm – wohlgemerkt ohne menschlichen Einfluss. Warum?

Mann: Das stimmt natürlich, zu Beginn der Kreidezeit gab es etwa kein Eis auf der Erdoberfläche. Damals war es wärmer als heute. Der CO2-Gehalt in der Atmosphäre war vermutlich sogar fünfmal so hoch, wie er gegenwärtig ist. Das allerdings war das Ergebnis geologischer Vorgänge, die sich auf der Zeitskala von 100 Millionen Jahren abspielten. Die Veränderungen heute sind hingegen einen Million Mal schneller.

Es geht nicht um die absolute Temperatur. Es geht um die enorme Geschwindigkeit, mit der sich die Temperatur ändert. Die natürlichen Anpassungen an die Klimaänderungen können mit diesem Tempo nicht mithalten. Das macht uns Sorgen, denn die sieben Milliarden Menschen auf diesem Planeten sind von einem stabilen Klima abhängig.

science.ORF.at: Für die langfristigen Klimaveränderungen ist die Geologie wichtiger als Bakterien, Pflanzen und Tiere?

Mann: Das ist eine interessante Frage: Die Konzentration von CO2 und Methan in der Atmosphäre wird natürlich auch von Lebewesen beeinflusst.

science.ORF.at: Positiv oder negativ?

Mann: Das Leben scheint wie ein Stabilisator auf das Klima zu wirken. Das ist der Kern der Gaia-Hypothese von James Lovelock und Lynn Margulis, der aus meiner Sicht bis heute Bestand hat: Auf großen Zeitskalen betrachtet stellt das Leben Bedingungen her, die die Existenz von Leben begünstigen. Natürlich passiert das nicht, weil das Leben aktiv darüber nachdenken könnte. Es passiert einfach, weil das Leben die Physik und die Chemie auf dem Planeten beeinflusst.

Interview: Robert Czepel, science.ORF.at

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