Er wurde von konservativen Politikern unter Druck gesetzt, erhielt Drohanrufe - einmal sogar ein Paket mit gefälschtem Anthraxpulver. Letztlich habe das seinen Gegnern nichts genützt, sagt der streitbare Wissenschaftler von der Penn State University: "Ich lasse mich nicht einschüchtern."
Teil eins des Interviews: "Der Temperaturanstieg ist beispiellos".
Zur Person
Michael Mann ist Professor für Meteorologie und Direktor am "Earth System Science Center" der Pennsylvania State University.
Am 27. Mai hielt er an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften einen Vortrag: "The Hockey Stick and the Climate Wars: The Battle Continues".
Ö1-Sendungshinweis
Über dieses Thema berichtete auch das Mittagsjournal, 28.5.2015.
science.ORF.at: In den USA scheint die politische Elite klar gespalten in zwei Lager: die Klimaschützer und die Klimawandelleugner. Warum?
Michael Mann: Ich habe mir diese Frage schon mehrmals gestellt, weil ich selbst ins Fadenkreuz derer geraten bin, die die Ergebnisse der Klimaforschung als unangenehm empfinden. In gewisser Hinsicht kann ich das sogar verstehen: Wenn die Wissenschaft sagt, dass fossile Energieträger irreversible Veränderungen in unserem Klima anrichten, dann haben Öl-, Gas-, und Kohlebetriebe damit keine Freude.
Das Problem ist, dass manche die öffentliche Debatte, was nun zu tun sei, verhindern wollen, indem sie den Klimawandel schlichtweg leugnen. Und bis zu einem gewissen Grad waren sie auch erfolgreich. Firmen wie Exxon Mobil und die Kohleindustrie haben Millionen Dollar für Desinformationskampagnen ausgegeben, um die Politik zu beeinflussen und die Klimaforschung zu diskreditieren.
Inwiefern?
Durch Finanzierung von Think Tanks und sogenannten Front Groups, die vorgeben, sich um Umweltfragen zu kümmern – aber letztlich nur das öffentliche Verständnis des Klimawandels unterminieren wollen. Diese Taktik ist nicht neu. Wir kennen sie von der Tabakindustrie. Sie wurde einst mit überzeugenden wissenschaftlichen Belegen konfrontiert, dass Zigarettenkonsum zum Tod von Menschen führt.
Mittlerweile wurden Dokumente veröffentlicht, die zeigen: Die Tabakindustrie wusste sehr wohl, wie schädlich ihre Produkte sind. Dennoch versuchte sie noch lange Zeit, die Wissenschaft anzugreifen. Das medizinische Problem wurde einfach geleugnet.
Die Tabakindustrie hat auch angesehene Wissenschaftler bezahlt, damit sie Fachkollegen angreifen. Interessanterweise tauchen nun einige dieser Leute, die in den Dokumenten der Tabakindustrie genannt werden, auch im Zusammenhang mit dem Klimawandel auf. Nun vertreten sie die Interessen der Fossilenergie-Lobby.
Können Sie Namen nennen?
Zum Beispiel Richard Lindzen, ein ehemaliger MIT-Professor. Oder Frederick Seitz, Mitbegründer des George Marshall Institutes – ein Think Tank, der den Mainstream der Wissenschaft gleich in mehreren Bereichen attackiert hat: beim Thema Tabak und Gesundheit, beim sauren Regen und dem Ozonloch und schließlich auch beim Klimawandel. Es gibt noch mehr solcher Individuen. Ich habe das in meinem Buch ("The Hockey Stick & the Climate Wars", Anm.) dokumentiert.
Sie waren, wie Sie in Ihrem Buch schreiben, auch persönlichen Angriffen ausgesetzt.
Als ich mein erstes Hockey-Stick-Paper veröffentlicht hatte, war ich noch ein junger Forscher mit geringer Jobsicherheit. Die erwähnten Personen und andere Gruppen wollten an mir ein Exempel statuieren, sie versuchten mich als Wissenschaftler fertig zu machen, sie wollten meine Kündigung erreichen und mich daran hindern, weiter unliebsame Studien zu publizieren.
Aber ich hatte Glück, meine Kollegen und meine Universität hielten zu mir. Außerdem ich muss sagen: Ich lasse mich nicht einschüchtern, ich bin nicht der Typ, bei dem so etwas funktioniert.
Was waren die schlimmsten Angriffe?
Ach, es gab viele. Die konservative Commonwealth Foundation, eine Organisation aus Pennsylvania, hat einmal versucht Republikaner der Staatsversammlung zu überzeugen, dass sie Fördergelder für meinen Arbeitgeber, die Penn State University, zurückhalten.
Ich erhielt Drohanrufe, mein Foto und meine Kontaktdaten wurden auf Websites von Hate Groups veröffentlicht. Einmal bekam ich sogar eine Paket mit weißem Pulver, das so aussah wie Anthrax. Daraufhin kam das FBI und überprüfte mein Büro.
War es Anthrax?
Nein zum Glück nicht, es war nur Maisstärke. Aber es ist klar, was damit bezweckt wurde.
Sie sollen einmal gesagt haben: "Wir sollten uns bewusst sein, dass wir uns in einem Street Fight befinden."
Ich habe das gesagt, aber das war nur ein Zitat. Der Satz stammt ursprünglich aus einem Editorial der Zeitschrift "Nature". Der Beitrag bezog sich auf einen Hackerangriff auf die University of East Anglia, bei dem vor ein paar Jahren tausende Emails von Klimaforschern gestohlen wurden. Mit dem Ziel, sie zu diskreditieren.
Die Herausgeber der Zeitschrift sind an sich recht konservativ, doch in diesem Fall wählten sie deutliche Worte, weil sie die intellektuelle Freiheit der Forschung in Gefahr sahen.
Hat sich aufgeklärt, wer für diesen Angriff verantwortlich war?
Der Angriff war so professionell geführt, dass selbst Scotland Yard den Urheber nicht feststellen konnte. Was wir wissen, ist: Die Medien, die Auszüge aus den gestohlenen Emails veröffentlichten, unterhalten Verbindungen zur Fossilenergie-Lobby. Vielen ist nicht bewusst, dass die Saud-Dynastie einen großen Teil von Newscorp, dem Medienimperium von Rupert Murdoch, besitzt. Ich bin sicher, dass Sie auch in Österreich von diesem Hackerangriff unter dem Namen "Climategate" erfahren haben. Das Ereignis wurde flächendeckend in die Öffentlichkeit gebracht, das war kein Zufall.
Aber Sie haben dafür keinen Beweis.
Die Verbindungen der beteiligten Medien wurden von Journalisten im Detail aufgeklärt. Ich zitiere die Quellen in meinem Buch. Der Urheber des Diebstahls ist unbekannt.
Noch ein kurzer Ausblick. Was erwarten sie von der diesjährigen Klimakonferenz in Paris?
Ich bin optimistisch. Die beiden größten Treibhausgasproduzenten, die USA und China, haben zugestimmt, ihre Emissionen substanziell zu verringern. Das sollte ein Signal für die anderen Nationen sein: "Seht her, nun machen wir Ernst!"
Rechtlich bindende Verträge wird es bei der Konferenz aber nicht geben, das ist schon jetzt klar.
Im Sinne eines internationalen Vertrages nicht, da haben sie recht. Aber ich hoffe auf die Kraft der Glaubwürdigkeit. Ich sehe China auf einem guten Weg. Sie investieren mehr als jedes andere Land in erneuerbare Energien und führen gerade eine CO2-Steuer ein. Auch in den USA bewegt sich etwas, die Obama-Administration wird ihre Versprechen halten. Nun steht die Glaubwürdigkeit auf dem Spiel.
Interview: Robert Czepel, science.ORF.at
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