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Gläserner Kopf

IQ steigt nur noch langsam

Dass die Menschheit gescheiter wird, ist bei der Lage der Welt wenig plausibel. Aber: Jene Intelligenz, die Tests zum Intelligenzquotienten (IQ) messen, steigt seit 100 Jahren weltweit an. Das hat mehr mit Lebensstil als mit echter Vernunft zu tun - und laut einer neuen Studie bremst sich auch diese IQ-Zunahme ein.

Psychologie 01.06.2015

Seit 1909 ist der IQ weltweit im Schnitt um etwa drei Punkte pro Jahrzehnt gestiegen, berichten die beiden Psychologen Jakob Pietschnig und Martin Voracek von der Universität Wien.

Die Studie:

"One Century of Global IQ Gains. A Formal Meta-Analysis of the Flynn Effect" von Martin Voracek und Jakob Pietschnig ist in der Mai-Ausgabe 2015 der "Perspectives on Psychological Science" erschienen.

Dass die Ergebnisse bei IQ-Tests immer besser ausfielen, wurde zum ersten Mal 1984 anhand der US-Bevölkerung wissenschaftlich beschrieben. Seither gibt es in Fachkreisen eine Diskussion über die Gründe für diesen sogenannten "Flynn-Effekt". Pietschnig und Voracek haben nun Testdaten von fast vier Millionen Personen aus 31 Ländern zwischen 1909 und 2013 analysiert und konnten so den "Flynn-Effekt" erstmals über mehrere Länder hinweg nachweisen.

"Der IQ ist das, was ein IQ-Test misst"

Als mögliche Gründe für diesen Anstieg nennen die Psychologen bessere Ernährung, Hygiene und medizinische Versorgung. Also Faktoren, die vor allem die frühkindliche Entwicklung verbessern. Außerdem dürften Verbesserungen in der schulischen Ausbildung dafür mitverantwortlich sein. Eine tatsächliche Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten kommt für Pietschnig als Erklärung aber eher nicht in Frage, wie er im Gespräch mit der APA erklärte.

Ein Teil des Anstiegs könnte sich auch dadurch erklären lassen, dass Menschen immer geübter im Umgang mit Tests werden. "Die Leute wissen, dass Raten eine gute Strategie ist", sagte Pietschnig. Dazu komme auch noch, dass "in unserer immer spezialisierteren Welt" Menschen spezifische Fähigkeiten scheinbar immer besser entwickeln, etwa das schlussfolgernde Denken.

Dadurch steigen Leistungen in Einzeltests, die die verschiedenen Facetten von Intelligenz zu messen versuchen und dann wiederum zum IQ zusammengefasst werden. Solche Einzelergebnisse können den Quotienten dann hinaufziehen. Mit einem Anstieg der Gesamtintelligenz sei das aber eben nicht gleichzusetzen. Hier zeige sich eben auch: "Der IQ ist das, was ein IQ-Test misst."

Umkehr in Skandinavien

Die Analyse zeige auch eindeutig, wie unterschiedlich der Anstieg über die Zeit hinweg ausfiel: In den 1920er und 1930er Jahren war der Anstieg relativ groß, während in Europa im Zweiten Weltkrieg deutlich weniger Zuwachs zu verzeichnen war. Danach gingen die Testleistungen wieder hinauf. "In den letzten 30, 40 Jahren sieht man dann ein Abflachen", erklärte der Forscher.

Dafür verantwortlich könnte sein, dass sich durch bessere Ernährung oder Beschulung nicht mehr viel an Zuwachs erzielen lässt. Die zunehmende Spezialisierung könnte aber auch zum Bumerang werden: Wird man nämlich auf einzelnen Gebieten immer besser, könnte die Entwicklung auf anderen Gebieten schwächer ausfallen - wiederum mit entsprechend negativen Auswirkungen auf den Gesamt-IQ.

Insgesamt verzeichneten die Forscher auch in jüngerer Vergangenheit noch immer einen Anstieg. Stagnation beobachte man aber bereits in Norwegen und Schweden. Zu einer Umkehr des "Flynn-Effekts" scheint es bereits in Finnland und Dänemark zu kommen, so die Beobachtung der Wissenschaftler.

Insgesamt sei der IQ jedenfalls mit Vorsicht zu genießen: "Es ist jedem Intelligenzforscher klar, dass intelligentes Handeln mehr ist, als das, was ein IQ-Test misst. Doch ist das trotzdem die beste Form der Leistungserfassung, die wir momentan haben", so Pietschnig.

science.ORF.at/APA

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