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Mikroskopische Aufnahme einer menschlichen Eizelle, die zu Demonstrationszwecken injiziert wird

Warnung vor "Frankenstein-Experimenten"

Emmanuelle Charpentier gilt als aussichtsreiche Nobelpreiskandidatin. Die Französin hat ein Werkzeug entwickelt, mit dem sich das Erbgut von Lebewesen einfach verändern lässt - auch jenes des Menschen. Die Technik hat enormes Potenzial, bereitet Forschern aber auch Sorgen: Sie warnen vor "Frankenstein-Experimenten".

Gentechnik 05.06.2015

Das System hört auf den etwas sperrigen Namen Crispr-Cas9 und verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Hunderte Wissenschafter rund um den Globus arbeiten damit - so günstig, einfach und präzise ist die Methode. Dabei gibt es die Technik erst seit drei Jahren.

Crispr-Cas9 erlaubt im Prinzip auch genetische Veränderungen in menschlichen Spermien, Eizellen oder Embryonen. Man spricht von Keimbahn-Manipulationen. Das ist praktisch die Königsklasse der Gentechnik - und hoch umstritten.

Ö1-Sendungshinweis

Über dieses Thema berichtet heute auch "Wissen aktuell", 5.6.2015, 13:55 Uhr.

Die Folge wäre ein manipulierter Mensch, der seine veränderte DNA an seine Nachfahren weitergibt. Sie wäre dauerhaft in der Welt. Das weckt zwar Hoffnung, bestimmte Erbkrankheiten zu heilen. Allerdings ist unklar, welche Konsequenzen das nach sich zieht. Ethiker und Teile der Forschergemeinde haben deshalb große Bedenken und sagen: Stop.

Genetisches "Cut & Paste"

Im Grunde ist Crispr-Cas9 eine Art Werkzeug, mit dem Forscher den genetische Bauplan von Organismen bearbeiten. Sie können Gene ausschalten, defekte DNA durch korrekte ersetzen oder neue Abschnitte ins Erbgut einfügen. Das so manipulierte Lebewesen bekommt dadurch neue oder andere Eigenschaften. Diese Möglichkeiten sind zwar nicht neu. Aber Crispr-Cas9 macht es bedeutend leichter.

Im März sorgten US-Forscher mit der Ankündigung für Aufsehen, mit Crispr-Cas9 bestimmte Insekten so zu verändern, dass sie keine Krankheiten mehr auf den Menschen übertragen können - beispielsweise Malaria-Mücken. Die Tiere würden ihre neue Eigenschaft an ihren Nachwuchs vererben. Ganze Populationen wären in relativ kurzer Zeit modifiziert. Kritiker fürchten die Konsequenzen. Was passiert, wenn solche Test-Insekten aus dem Labor entkommen? Sollte in das Erbgut frei lebender Tiere so stark eingegriffen werden?

Jörg Hacker, Präsident der Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina, wertet Crispr-Cas9 als großen Schritt. "Das ist eine Methode, die sehr präzise arbeiten kann, die hohes Potenzial hat, als Werkzeug in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen genutzt zu werden."

Neue Möglichkeiten für Gentherapie

Um DNA gezielt zu manipulieren, schneidet man sie in der Regel. Bisher mussten sich Forscher, um das Erbgut an einer bestimmten Stelle zu verändern, eine spezifische DNA-Schere kreieren. Das ist aufwendig. Crispr-Cas9 ist anders. Das System funktioniert mit der immer gleichen Schere, die zusammen mit zwei einfachen Molekülen sehr präzise eine bestimmte DNA-Stelle findet. "Das ist sehr billig und einfach", erklärt Charpentier den Erfolg der Methode.

Crispr-Cas9 könnte der sogenannten Gentherapie zu großen Erfolgen verhelfen. Dabei werden in der Regel einem kranken Menschen bestimmte Zellen entnommen, im Labor gentechnisch verändert und anschließend wieder eingesetzt. Das könnte bei Krankheiten des Blutsystems oder gar bei Aids helfen. Crispr-Cas9 macht diese Technik viel einfacher.

China: Embryo genetisch manipuliert

Allerdings rückt auch das gentechnisch veränderte Baby näher. Vor einigen Wochen präsentierten chinesische Forscher im Fachblatt "Protein & Cell" eine viel kritisierte Studie, der zufolge sie mit Crispr-Cas9 einen Embryo genetisch manipuliert haben. Könnte daraus ein Mensch werden, würden die Veränderungen an seine Kinder weitergegeben, die Manipulationen wären erblich.

Bei den chinesischen Experimenten tauchten viele Probleme auf. Dennoch gelten sie als erster Vorstoß in diese Richtung, mit vielen Unwägbarkeiten und Problemen. Der Widerstand ist schon in diesem Frühstadium enorm. "Die Konsequenzen sind im Grunde nicht absehbar. Wir wollen doch nicht mit Embryonen experimentieren. Das wäre furchtbar", sagt Leopoldina-Chef Hacker. Zu viele wissenschaftliche Fragen seien noch offen.

Charpentier strikt gegen Keimbahn-Experimente

Hacker spricht sich, wie viele seiner deutschen Kollegen, für ein weltweites Moratorium aus, bis die Folgen solcher Eingriffe besser erforscht sind. Auch viele US-amerikanische Experten - wenn auch nicht alle - sind dafür. In den beiden Fachblättern "Science" und "Nature" erschienen kritische Kommentare zu Experimenten an der menschlichen Keimbahn. An die Forscherwelt wurde appelliert, freiwillig auf solche Experimente zu verzichten.

Die Crispr-Cas9-Erfinderin selbst fordert ein Verbot von Keimbahn-Experimenten. "Ich finde das nicht gut. Für mich ist die Frage: Warum? Welchen Zweck hat es, menschliche Keimbahnzellen zu manipulieren?", sagt Emmanuelle Charpentier. Es sei besser, Keimbahn-Experimente komplett zu untersagen, als umständlich einzuschränken.

Die Französische Forscherin war bis vor sechs Jahren an den Max F. Perutz Laboratories am Biocenter in Wien tätig, wechselte dann aber an die Universität Umea in Schweden. Gegenwärtig forscht sie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig.

science.ORF.at/dpa

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