Man stelle sich vor, bildende Künstler und die großen Museen lägen im Dauerclinch, oder es gäbe Aufrufe von Autoren, man möge es doch bitte unterlassen, weiterhin mit den wichtigsten Literaturverlagen zu kooperieren. Das wäre absurd - doch in der Wissenschaft ist das alltägliche Praxis.
Vor drei Jahren startete Timothy Gowers die Boykottinitiative "Cost of Knowledge". Der britische Mathematiker rief Wissenschaftler auf, nicht mehr in Journalen des niederländischen Verlages Elsevier zu publizieren. Elsevier ist nicht irgendjemand in diesem Geschäft, sondern einer der größten Wissenschaftsverlage weltweit. Mehr als 15.000 haben den Aufruf bislang unterschrieben, darunter Forscher aus Harvard, von der Cambridge University und der ETH Zürich.
Aufstand der Forscher
Gowers hielt Elsevier vor, mit besonders dominanter Preis- und Verkaufspolitik der Wissenschaft zu schaden. Die drei Hauptvorwürfe:
- die Preise seien extrem hoch
- die verkauften Journale könnten nur mehr in Bündeln erworben werden (neben den Top-Journalen wie "Cell" und "Lancet" müssten somit Bibliotheken nolens volens auch Ladenhüter kaufen)
- die freie Verbreitung wissenschaftlicher Information werde behindert
Das sind keine geringen Anschuldigungen, dennoch haben sich Tausende Wissenschaftler mit Timothy Gowers solidarisch erklärt. Was läuft da falsch im Wissenschaftsbetrieb? "Wir haben schlichtweg eine zu große Marktkonzentration bei den Wissenschaftsverlagen", diagnostiziert Falk Reckling vom Wissenschaftsfonds FWF.
Oligopolisten mit immensen Gewinnen
Die Studie
"The Oligopoly of Academic Publishers in the Digital Era" von Vincent Larivière und seine Kollegen ist am 10. 6. 2015 in "PLOS ONE" erschienen. Sie haben dabei 45 Millionen wissenschaftliche Publikationen der Jahre 1973 bis 2013 analysiert.
Ö1 Sendungshinweis:
Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 11. 6., 13:55 Uhr.
Eine aktuelle Studie gibt diesem Urteil statistisches Unterfutter. Hatten die fünf größten Verlage im Jahr 1973 noch 20 Prozent aller akademischen Artikel veröffentlicht, waren es 1996 30 Prozent und 2006 - durch Firmenfusionen und Übernahmen - bereits gut 50 Prozent.
Reed-Elsevier, Springer (neuerdings, fusionsbedingt, Springer Nature), Wiley-Blackwell, Taylor & Francis und Sage. So heißen die fünf großen Player im Geschäft.
"Die größten Verlage kontrollieren nicht nur mehr als die Hälfte des Marktes, sie haben auch gewaltige Umsätze mit Gewinnspannen von fast 40 Prozent", sagt Vincent Larivière, der Erstautor der Studie. "Oligopol" heißt so eine Konzentration der Macht auf wenige in der Ökonomie. Das gibt es auch in anderen Bereichen, etwa auf dem Mineralöl-, Strom- und Mobilfunkmarkt, naturgemäß nicht immer zur Freude der Kontrollbehörden.
In diesem Fall ist die Schieflage eine besondere, da das Produkt - die wissenschaftliche Studie - den Verlag nichts kostet. Denn die Studien werden von den Forschern hergestellt, von ebendiesen fachlich bewertet und in der Regel vom Steuerzahler bezahlt.
Am stärksten ausgeprägt ist die Marktkonzentration laut Larivière in Fächern wie Chemie, Psychologie und den Sozialwissenschaften. In der Biomedizin, Physik und Kunst habe sich die Lage indes ein wenig gebessert.
Lösungen: Neue Journale und Open Access
Im Prinzip könnte sich der Trend zu immer mächtigeren Firmenimperien noch fortsetzen. Elsevier etwa firmierte früher als Verlag, nun bezeichnet sich der Konzern als "Information Provider" - und versucht die Inhalte von Studien auch durch Datenbanken und Analysetools zu Geld zu machen.
"Wir müssen aufpassen, dass die 'Googles der Wissenschaft' die von der öffentlichen Hand finanzierte Forschung nicht weiter kommerzialisieren und ihre Marktstellung noch ausweiten," sagt Reckling - und schlägt als Gegenmittel zweierlei vor:
Erstens sollten die wissenschaftlichen Fachgesellschaften beginnen, ihre Studien wieder selbst zu publizieren, so wie es auch in historischen Zeiten üblich war. Und zweitens sollte man den freien Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen - Stichwort "Open Acess" - weiter fördern.
Was im Klartext bedeutet: Natürlich sollen Wissenschaftler sich auch in Zukunft aussuchen dürfen, wo sie ihre Ergebnisse publizieren. Es müssen keine expliziten Open-Acess-Journale sein, wie etwa jene der Public Library of Science oder das Journal eLIFE, das dereinst mit Flaggschiffen wie "Nature" und "Science" auf Augenhöhe konkurrieren soll.
Doch wenn die Artikel in klassischen Abonnement-Zeitschriften erscheinen, müssen die Verlage einwilligen, dass die Forscher eine Kopie des Artikels auf ihrer Website anbieten dürfen. So läuft es zumindest im Moment in Österreich, sagt Reckling: Der FWF zahle den Verlagen etwas dafür, damit sie sich auf so einen Deal einlassen.
Niederlande als Vorreiter
Besser wäre es freilich, ähnliche Abkommen nicht peu à peu, sondern im großen Stil abzuschließen. Neue Verträge, die Publikationen und freie Nutzung automatisch verknüpfen - das ist der Weg, den die Max-Planck-Gesellschaft gehen will (eine Studie zu diesem Plan erschien kürzlich hier). In den Niederlanden ist man schon ein Stück weiter. Dort haben die Universitäten des Landes einen entsprechenden Open-Access-Deal mit Springer abgeschlossen.
Ein Teilerfolg, der zeigt: Den Großverlagen werden am Verhandlungstisch nur jene Paroli bieten können, die in möglichst großen Interessensverbänden auftreten. Das gilt für Universitäten ebenso wie für Bibliotheken und Forschungsträger.
Die Wissenschaft müsse lernen, auch in dieser Hinsicht länderübergreifend zu denken, sagt Reckling: "Die Macht der Verlage mag zwar groß sein. Doch in Europa haben allein die Universitäten und die Forschungsförderer ein Budget von 150 Milliarden Euro. Im Vergleich dazu sind selbst die Umsätze der Verlage gering."
Robert Czepel, science.ORF.at
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