"Und das oft blitzschnell – nachdem wir nur ein einziges Mal mit einer neuen Situation konfrontiert worden sind", erklärt Matias Ison, Studien-Mitautor und Neurowissenschaftler an der Universität Leicester, gegenüber science.ORF.at.
Die "Idee Jennifer Aniston"
Die Studie:
"Rapid Encoding of New Memories by Individual Neurons in the Human Brain" von Matias Ison und Kollegen ist am 1.7. in der Fachzeitschrift "Neuron" erschienen.
Ö1 Sendungshinweis:
Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 2.7., 13:55 Uhr.
Ison geht davon aus, dass es einzelne Nervenzellen im Gehirn gibt, die immer nur bei der Ansicht bestimmter Objekte der Außenwelt aktiv werden ("feuern").
Das ist nicht neu: Bereits vor zehn Jahren hat dies der Senior-Autor der aktuellen Studie in einer spektakulären Arbeit bewiesen: Der Gehirnforscher Rodrigo Quian Quiroga prägte damals den Begriff der "Jennifer-Aniston-Neuronen", benannt nach der bekannten US-Schauspielerin.
Diese Nervenzellen feuern nur dann, wenn man gerade ein Bild von ihr sieht oder auch nur einen Schriftzug mit ihrem Namen. Es geht also nicht nur um Visuelles, sondern quasi auch um die "Idee Jennifer Aniston", die sich in den einzelnen Nervenzellen eingeschrieben hat.
Verknüpfung von Gesicht und Ort
Die aktuelle Studie geht einen Schritt weiter. "Sie hat nicht nur untersucht, wie menschliche Gesichter mit einzelnen Neuronen zusammenhängen, sondern auch, was geschieht, wenn man diese Gesichter mit anderen Informationen verknüpft", erklärt Matias Ison.

University of Leicester
Eine der verwendeten Fotomontagen: Clint Eastwood vor dem Schiefen Turm von Pisa
Die Methode ist dabei ähnlich geblieben wie vor zehn Jahren: Patienten mit schweren Formen von Epilepsie wurden Elektroden in das Gehirn implantiert, um mögliche Stellen für chirurgische Eingriffe zu finden. 16 von ihnen stellten sich freiwillig für die Experimente von Ison und seinem Team zur Verfügung.
Sie bekamen zuerst wie vor zehn Jahren Bilder mit Berühmtheiten wie Jennifer Aniston und Clint Eastwood zu sehen. Dann überprüften die Forscher, ob tatsächlich einzelne Neuronen im Temporallappen des Gehirns bei Ansicht der jeweiligen Bildern feuerten – was der Fall war.
In einem zweiten Schritt verbanden sie dann die Berühmtheiten mit bekannten Orten: Fotomontagen, die etwa Clint Eastwood vor dem Schiefen Turm von Pisa oder Jennifer Aniston vor dem Eiffelturm zeigen.
Die Versuchspersonen bekamen diese Bilder zu sehen (Beispiel siehe links), und wieder wurde ihr Gehirn über die Elektroden untersucht. Ergebnis: Die gleichen einzelnen Nervenzellen, die zuvor nur bei den Berühmtheiten feuerten, taten dies nun auch bei den Sehenswürdigkeiten oder bei Kombinationen von beiden.
Grundlage für episodisches Gedächtnis
"Damit haben wir zum ersten Mal gezeigt, wie einzelne Neuronen mit dem Erlernen neuer Assoziationen zusammenhängen", sagt Matias Ison. Dies stelle die Grundlage für das sogenannte episodische Gedächtnis dar: also das, woran wir uns aus unserem persönlichen Erleben erinnern.
Wenn wir eine alte Schulfreundin zufällig an der Supermarktkasse treffen, dann sei das eine ähnliche Verknüpfung von Gesicht und Ort wie von Clint Eastwood und dem Schiefen Turm von Pisa – so die Erklärung der Forscher.
"Natürlich ist das episodische Gedächtnis mehr als diese Assoziationen", meint Ison gegenüber science.ORF.at. "Aber wir wissen, dass dafür Erfahrungen sehr wichtig sind. Und diese hängen stark von der schnellen Bildung neuer Assoziationen ab. Persönliche Erinnerungen bilden sich 'im Flug', und die Neuronen ändern ihr Verhalten ähnlich schnell."
Ein Netzwerk von Großmutterzellen
Dass einzelne Neuronen für bestimmte Inhalte zuständig sein sollen, ist in der Wissenschaft selbst nicht unumstritten. Der US-Neurowissenschaftler Jerry Lettvin hat schon vor über 40 Jahren den scherzhaften Begriff der "Großmutterzelle" geprägt - die stets aktiv wird, wenn man die eigene Großmutter sieht.
"Diese Einwände sind bekannt", sagt Matias Ison. "Aber wir wissen, dass es nicht nur eine Großmutterzelle gibt, wenn Sie so wollen, sondern ganz viele von ihnen." Die Großmutter werde – genauso wie Jennifer Aniston oder Clint Eastwood in Pisa – von einem Netzwerk an Neuronen im Gehirn repräsentiert. Dass man mit den Elektroden "bloß" jeweils nur eines ausfindig gemacht hat, sei ein methodologisches Problem – denn die Forscher bekommen nur einen Bruchteil der Milliarden Nervenzellen in den Blick.
Diesen Blick zu erweitern, sei eine Herausforderung für die künftige Forschung, sagt Ison. Ebenso: Die Frage, warum sich manche der neu gebildeten, und von einzelnen Neuronen verkörperten Lerninhalte im Langzeitgedächtnis ablagern und andere nicht. Dies sei nicht zuletzt wichtig, um Krankheiten besser zu verstehen, bei denen das Vergessen das Hauptproblem ist, also von Alzheimer und Co.
Lukas Wieselberg, science.ORF.at
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