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Ultraschallaufnahme eines Embryos

Riskantes Tüfteln am Erbgut

Die Entwicklung der gentechnischen Methoden schreitet rasant voran - damit scheint auch die Keimbahntherapie in greifbare Nähe zu rücken. Der Genetiker Markus Hengstschläger macht in einem Gastbeitrag auf die möglichen Risiken solcher Eingriffe aufmerksam: Die Wechselwirkung der Gene sei noch viel zu wenig erforscht.

Forum Alpbach 2015 03.08.2015

Das Genom des Menschen und seine Ungleichheit

Von Markus Hengstschläger

Markus Hengstschläger

Markus Hengstschläger

Markus Hengstschläger ist Leiter des Instituts für Medizinische Genetik und Organisationseinheitsleiter des Zentrums für Pathobiochemie und Genetik an der Medizinischen Universität Wien. Er ist stellv. Vorsitzender der österreichischen Bioethikkommission und Mitglied des Rats für Forschung und Technologieentwicklung.

Seminare beim Forum Alpbach

Im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach leitet Hengstschläger mit Sean O Heigeartaigh und Marcy Darnovsky vom 20. bis 25.8. das Seminar " Genetik der Ungleichheit". science.ORF.at stellt dieses und weitere Seminare in Form von Gastbeiträgen vor.

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Ö1-Hinweise

Eine Reihe von Sendungen begleitet das Europäische Forum Alpbach 2015 in Ö1. Die Technologiegespräche stehen im Mittelpunkt von Beiträgen in den Journalen, in Wissen aktuell, in den Dimensionen und bei der Kinderuni.

Mitglieder des Ö1 Club erhalten beim Europäischen Forum Alpbach eine Ermäßigung von zehn Prozent

Kein Mensch gleicht dem anderen. Der Mensch ist das Produkt der Wechselwirkung aus Genetik und Umwelt. Als Mechanismus seiner biologischen Entstehung dient sexuelle Reproduktion. Das Ergebnis dieser Art von Fortpflanzung ist eigentlich Ungleichheit. Bei sexueller Reproduktion wird nämlich durch so genannte Rekombinationsprozesse dafür Sorge getragen, dass die "genetischen Karten" immer wieder neu gemischt werden. So ist schließlich schon (fast) jeder Mensch auf der Ebene seiner DNA individuell.

Und auch eineiige Zwillinge, die gewissermaßen mit dem gleichen genetischen Ausgangsmaterial starten und daher die Ausnahme darstellen, sind eigentlich auch gleich wieder ungleich, weil schon vom embryonalen Zeitpunkt ihrer Entwicklung an ihr epigenetischer Code, der Verwendung und Umsetzung genetischen Materials regulieren kann, auseinanderweicht. Dazu kommt, dass auf zwei Menschen nie die genau gleiche Umwelt wirken kann, was die Ungleichheit der Menschen enorm erweitert. Und je länger ein Mensch lebt, umso ungleicher wird er all den anderen Menschen dieser Welt.

Kaum Interesse der Industrie

Eine besondere Bedeutung bekommen Begriffe wie "Gleichheit" und "Ungleichheit" vielleicht im Zusammenhang mit genetischen Ursachen für die Entstehung von Erkrankungen des Menschen. Mehrere Tausend Gene des Menschen können, wenn in ihrer DNA Sequenz bestimmte Veränderungen (Mutationen) auftreten, kausal mit Krankheiten assoziiert sein. Für manche solcher monogenen Erkrankungen stehen heute bereits gute Therapien, in manchen Fällen sogar effizient anwendbare prophylaktische Ansätze, zur Verfügung, für viele leider aber noch nicht. Die Schere zwischen genetischer Diagnostik und Therapie ist noch groß.

Es gibt viele verschiedene monogene Erkrankungen, jede einzelne davon kommt aber meist nur sehr selten vor. Was auch der Grund dafür ist, dass die Forschung an diesen seltenen Erkrankungen zumeist an Universitäten angesiedelt ist. Das Interesse der Pharmaindustrie ist zu oft enden wollend, weil sich selbst ein effizientes Therapeutikum nicht in großen Mengen verkaufen ließe.

Ein postuliertes Hauptziel des Faches Medizinische Genetik ist es, durch translationale Forschung dazu beizutragen, für immer mehr solcher seltenen Erkrankungen Therapien zu entwickeln um pathogenen Mutationen entgegenwirken zu können. Einem auf den ersten Blick zwingend logisch erscheinenden Ansatz dafür, dem Korrigieren von Mutationen im Genom des Menschen, standen bisher vor allem viele auch technische Hürden im Weg.

Defekte genetisch ausgleichen

Unter dem Begriff Gentherapie fasst man in der Genetik verschiedene Methoden zusammen, die darauf abzielen, das Erbgut des Menschen zu verändern um dadurch Krankheiten zu behandeln oder gar zu heilen. Bei den seltenen monogenen Erkrankungen wäre es im vielleicht übertragenen Sinn das Ziel von Gentherapie, die Ungleichheit gegenüber der Mehrheit der Bevölkerung für die eine ganz spezifische Veränderung auf DNA Ebene wieder "auszugleichen".

Bei der so genannten somatischen Gentherapie betreffen die eingeführten genetischen Veränderungen nur Teile des menschlichen Körpers bzw. Organe. Da es sich dabei im Wesentlichen nur um lokal wirkende genetische Eingriffe handelt, die nicht an die nächste Generation vererbt werden, sind die ethischen Bedenken gegenüber ihrer klinischen Anwendung geringer.

Ganz anders verhält es sich mit der Keimbahntherapie, bei der die genetische Veränderung so früh im Embryonalstadium angewendet werden soll, dass sie dann den ganzen Menschen und auch seine Keimbahn, die Eizellen bei der Frau und die Spermien beim Mann, betrifft. In diesem Fall würde diese genetische Veränderung nicht nur den Patienten selbst, sondern auch alle seinen Nachkommen aller folgenden Generationen betreffen, weil sie eben über die Keimbahn vererbt würde.

Revolution der Methoden

Hauptargumente gegen die Keimbahngentherapie waren bisher stets auch die technischen Einschränkungen der verwendeten Methoden um die genetische Veränderung/Korrektur vorzunehmen. Es standen bisher nur Technologien zur Verfügung, die sehr oft sehr fehleranfällig waren, und im schlimmsten Fall mehr Schaden als Nutzen bringen würden.

Das ändert sich aber gerade durch ganz aktuelle wissenschaftliche Fortschritte. Durch die Entdeckung und innovative Anwendung des sogenannten CRISPR-Cas9 Systems, das eigentlich aus Bakterien stammt, die sich damit gegen Viren wehren, sehen viele Genetiker eine historische Veränderung des Faches eingeläutet. Durch dieses Enzymsystem ist es jetzt möglich geworden, ganz spezifisch DNA an einer bestimmten, vielleicht eben pathogen mutierten Stelle zu schneiden und dadurch korrekte DNA-Sequenzstücke einzufügen.

Manipulierte Embryonen

Auch diese Methode, die 2015 bereits von chinesischen Genetikern das erste Mal an menschlichen Embryonen angewendet wurde, ist noch nicht fehlerlos ("off-target effects") und muss definitiv noch perfektioniert werden. Auch wenn die chinesischen Forscher ausschließlich Embryonen verwendet haben, die niemals eine Schwangerschaft auslösen können, so war die internationale Entrüstung über ihre Experimente doch enorm.

Viele Genetiker auf der ganzen Welt fordern jetzt eine intensive ethische Diskussion über die Anwendung von "gene/genome editing" (so der wissenschaftliche Überbegriff dafür). Die meisten Genetiker weltweit sind der Meinung, dass wohingegen die Anwendung von gene editing für somatische Gentherapien vorangetrieben werden sollte, genetische Eingriffe, die auch die Keimbahn betreffen, verboten bleiben bzw. werden sollen.

Keimbahntherapie in Österreich verboten

In Österreich etwa ist Keimbahngentherapie am Menschen ausdrücklich gesetzlich verboten. Das gilt aber für so manche Länder auf dieser Welt nicht. Es gibt viele nachvollziehbare Gründe, warum sich die meisten Genetiker weltweit einig bei dieser Frage sind.

Die Vererbung der eingebrachten genetischen Veränderung auf alle folgenden Generationen ohne voraussagen zu können welche andere Auswirkungen solche Eingriffe irgendwann einmal für den Menschen/die Menscheit vor allem auch unter dem Gesichtspunkt der Genetik-Umwelt Wechselwirkung haben könnten, ist nur einer davon.

Ich würde gerne in der Diskussion einen weiteres Argument hervorheben, das sich gewissermaßen auf die Frage "Ungleichheit" versus "Gleichheit" bezieht. Zwei Menschen, die im gleichen Gen eine pathogene Mutation haben, bekommen vielleicht ganz grundsätzlich einmal dieselbe Erkrankung.

Die Sequenzen all ihrer anderen tausenden Gene sind aber natürlich nicht gleich. Eine enorm wichtige Komponente, die den Menschen in seiner Individualität zum Menschen macht, ist das Zusammenspiel und die Wechselwirkung all seiner tausenden Gene. Und bei jedem dieser Gene hat jeder Mensch eben wieder seine individuellen ungleichen Varianten.

Nebenwirkungen kaum abzuschätzen

Da bei der Keimbahntherapie die genetische Veränderung/Korrektur aber jedes Organ, ja jede seiner unzähligen verschiedenen Zellen und Zelltypen eines Menschen betrifft, können die Konsequenzen für das gesamte Zusammenspiel aller Gene nur schwer für den Einzelnen vorhergesagt werden.

So wird zwar höchstwahrscheinlich die Gentherapie bei allen Menschen die Entstehung der einen behandelten Erkrankung verhindern können – bei dem einen vielleicht ohne weitere Nebenwirkungen, bei dem anderen aber vielleicht mit fatalen Konsequenzen für andere Funktionen seines Körpers.

Der positive Effekt des "Ausgleichens" des genetischen "Defekts" muss also unter dem Aspekt der großen Ungleichheit des gesamten genetischen Hintergrundes, der bei jedem Menschen individuell ist, in Frage gestellt werden.

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