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Umrisse von 5 Menschen, sie sind durch Zahlen ausgefüllt

"Technikdesign ist eine politische Arena"

Technologien, bei der Menschen mit Maschinen interagieren, werden immer wichtiger. Die Gefahr dabei: Der Mensch selbst wird als Maschine betrachtet, die es zu verbessern gilt. Die schwedische IT-Expertin Kristina Höök verfolgt einen anderen Ansatz: Sie stellt Freude und Genuss des eigenen Körpers ins Zentrum der Mensch-Maschine-Interaktion.

Technologiegespräche Alpbach 17.08.2015

Beim Design neuer Technik sei dies eine zentrale Größe, meint sie im science.ORF.at-Interview - und Design deshalb eine "politische Arena", bei der kritisches Denken gefragt ist.

science.ORF.at: Embodiment ist ein relativ junger Ansatz in der Wissenschaft. Können Sie kurz beschreiben, wie er Sie in Ihrem Gebiet, der Interaktion von Mensch und Maschine, betrifft?

Kristina Höök: Was es heißt menschlich zu sein, kann man nie ganz verstehen, wenn man nicht die Situation als Ganzes betrachtet. Ich kann es nicht verstehen, indem ich nur das menschliche Gehirn oder das Nervensystem untersuche oder mich mit der Kultur und der Sozialisation eines Menschen beschäftige. Wenn ich etwas mache, dann spielen so viele verschiedene Faktoren zusammen – und ein zentraler ist eben auch unser Körper. Dieses ganzheitliche Verständnis einer Situation versuchen wir in unseren Designs zu berücksichtigen.

Wir waren im Bereich der Mensch-Maschinen-Interaktion lange Zeit davon besessen, psychologische Studien über jene Systeme anzustellen, die wir zu bauen versuchten. Heute bin ich überzeugt davon, dass es nicht reicht, die Menschen zu verstehen, sondern dass wir die Situation als Ganzes begreifen müssen. Und dafür liefert das Embodiment eine gute, theoretische Grundlage.

Kristina Höök; Technikdesign; Alpbach;

Joel Höglund

Zur Person:

Kristina Höök ist Professorin für „Interaction Design“ am Royal Institute of Technology in Stockholm in Schweden. Höök leitet das Mobile Life Centre, das zum SICS gehört. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf Designkonzepten, die sich mit Interaktion beschäftigen.

Technologiegespräche Alpbach:

Von 27. bis 29. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet "UnGleichheit". Davor erscheinen in science.ORF.at Interviews mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die bei den Technologiegesprächen vortragen oder moderieren. Kristina Höök wird am Arbeitskreis „Human Enhancement Technologien: Verstärkung oder Reduktion von Ungleichheit“ teilnehmen.

Links:

Sendungshinweis:

Menschen & Mächte: Alpbach ‒ Mein Europa ‒ Ein Dorf: 19.8., 22:30 Uhr, ORF 2.

Das Ziel Ihrer Arbeit ist also, diese abstrakte Theorie auf anwendungsorientierte Designkonzepte umzulegen. Können Sie das anhand eines praktischen Beispiels näher erklären?

Meine Arbeit hat sehr unterschiedliche Facetten. Sie besteht daraus, Sachen zu bauen, aber auch zu programmieren. Es nicht nur digital, aber auch nicht nur physisch, sondern eine Kombination. Ein Projekt, an dem ich derzeit arbeite, ist die sogenannte "Soma Mat". Das ist eine Matte, die mit Drucksensoren ausgestattet ist. Man legt sich auf diese Matte, und eine Stimme sagt dir, was du machen sollst. Etwa dich auf deine linke Ferse konzentrieren. In dem Moment erwärmt sich die Matte genau unter deiner linken Ferse – sie hilft dir also, dich auf bestimmte Regionen deines Körpers zu konzentrieren und orientiert sich dabei an deinen eigenen Bewegungen. Für dieses Feedback verwenden wir clevere Algorithmen, gleichzeitig arbeiten wir aber auch mit unterschiedlichsten Materialen, die wir physisch verarbeiten. Wir kombinieren sehr viel in unserer Arbeit.

Und welchen Nutzen hat diese Matte?

Ich beschäftige mich schon lange mit Technologien, die auf körperlicher Interaktion basieren. Also Dingen, die man am Körper oder nahe dem Körper trägt. Ich fand das interessant, aber zum Teil auch beängstigend. Denn sehr viele dieser Technologien messen bestimmte Körperfunktionen. Etwa den Puls oder den Blutdruck. Und wenn man das macht, besteht die Gefahr, den Körper als Objekt wahrzunehmen. Als Maschinerie, die kontrolliert, getrimmt und perfektioniert werden muss.

Wir vergessen dabei aber, dass der Körper ein Teil von uns ist, der nicht separiert betrachtet werden kann. Wir vergessen die Ästhetik, den Spaß und schlichtweg den Umstand, es zu genießen, in unserem Körper zu sein. Und so war ich auf der Suche nach einer Theorie, die das berücksichtigt, und ich wurde fündig bei Richard Schustermann und seinem Ansatz von "Somaesthtics". Im Grunde sagt er, dass wir angeregt durch körperliche Bewegungen unser Verständnis davon, wie wir die Welt erfahren, ausbauen können. Und das bringt uns nicht nur selbst weiter, sondern hilft auch dabei, unser empathisches Verständnis anderen gegenüber zu stärken.

Und so habe ich mich daran gemacht, seine Ideen auf konkrete Designkonzepte zu übertragen um zu zeigen, dass wir nicht nur Technologien entwerfen, die funktional und effizient sind, sondern auch solche, die darauf abzielen, den eigenen Körper zu genießen und neue Bewegungen zu lernen. Und genau das macht die "Soma Mat". Während man darauf liegt und nach Anleitung der Stimme extrem langsame Bewegungen macht, die durch das Wärme-Feedback unterstützt werden, lernt man, sich auf all die kleinen Muskeln in seinem Körper zu konzentrieren, auf Symmetrien und Asymmetrien, auf Schmerzen in bestimmten Regionen und vieles mehr. Wir sind so sehr mit der Außenwelt beschäftigt, dass wir diese Dinge oft vergessen. Wenn man nach 30 Minuten von dieser Matte aufsteht, fühlt man sich, als hätte man ein neues Universum im Inneren seines Körpers entdeckt.

Soweit ich gesehen habe, wird diese Matte auch mit einer bestimmten Lampe kombiniert?

Ja, über dem Körper wird eine Lampe positioniert, die sich an das Tempo der Atmung anpasst. Das heißt, sie ist mit einem Bewegungssensor ausgestattet, der dafür sorgt, dass das Licht entsprechend der Auf- und Abbewegungen des Brustkorbs heller und dunkler wird. Sowohl die Matte als auch das Licht sind eine Form von "Somaesthtics".

Das erinnert mich stark an Meditation oder eine eher esoterische Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper. Was ist der wissenschaftliche Ansatz dahinter?

Wir machen natürlich bei jeder Arbeit, Nutzerstudien. Wir müssen ausprobieren, verwerfen, verbessern und beschreiben, warum etwas funktioniert oder nicht. Wir haben etwa anhand konkreter Daten gezeigt, warum das Wärme-Feedback funktioniert. Daneben haben wir auch mit visuellem Feedback experimentiert – hier haben wir allerdings anhand unserer Nutzerstudien bemerkt, dass das nicht funktioniert, weil die Personen dadurch stark abgelenkt wurden und sich zu sehr auf die Außenwelt konzentriert haben. Wir arbeiten ständig daran, zu verstehen wie und warum etwas funktioniert und somit spricht nichts dagegen, auch wissenschaftlich zu begreifen, was es bedeutet, einen Körper zu haben und die körperliche Bewegung zu genießen.

Diese Matte ist jetzt nicht unbedingt ein klassischer Gebrauchsgegenstand – gibt es andere Dinge, die Sie entworfen haben, die den Genuss der Bewegung in den Alltag integrieren?

Durchaus. Wir wissen zum Beispiel, dass ein Großteil der erwachsenen Menschen selten bis nie die Hände über den Kopf hebt. Kinder machen das oft aber irgendwann hören wir damit auf. Wir haben deshalb eine Lampe entworfen, die dadurch eingeschalten bzw. gedimmt wird, indem man mit den Händen nach oben an den Lampenschirm greift und den Rahmen entlang fährt. Du musst dich bewegen um Licht zu machen. Und nachdem wir immer mehr Technologie in unserem Zuhause haben, wird es in Zukunft immer wichtiger, diese Dinge so zu designen, dass wir ästhetisch ansprechend, aber auch genussvoll mit ihnen in Interaktion treten können.

Nicht nur in unserem Zuhause hält die Technologie Einzug – wir sind auch zunehmend mit Technologien konfrontiert, die unsere körperlichen Möglichkeiten erweitern. Seien es Sensoren, die am Körper getragen werden, interaktive Kleidung, Exoskelette, hochtechnisierte Brillen und vieles mehr. In Alpbach geht es heuer um "UnGleichheit". Wie schätzen Sie diese technologischen Innovationen ein: Leisten sie einen Beitrag zu mehr Gleichheit oder verstärken sie bestehende Ungleichheiten?

Die Antwort ist: beides. Einerseits kann man diese Technologien nutzen um körperliche Nachteile auszugleichen. Etwa das Cochlea-Implantat kann Menschen dabei helfen zu hören. Andererseits besteht genauso ein großes Risiko zur Erzeugung von Ungleichheit, denn ganz offensichtlich sind es reiche Menschen, die sich diese Technologien leisten können. Genauso sind Geschlechter- und Altersunterschiede, Behinderungen etc. Faktoren, die bei der Entwicklung neuer Technologien berücksichtigt werden müssen. Ansonsten laufen wir Gefahr, ausschließlich für einen weißen, westlichen, männlichen, reichen Nutzer zu designen. Für mich ist "Design" eine äußerst politische Arena, in der kritisches Denken gefragt ist.

Das sehen wir etwa auch an den Gesundheits-Apps, die derzeit boomen. Viele davon zielen auf Diabetes, Bluthochdruck, sportliche Betätigung, Wellness und dergleichen ab. Die meisten, der Probleme, auf die diese Apps fokussieren, haben mit übermäßigem Konsum und einem Lifestyle zu tun, der von Leuten etabliert und befeuert wird, die über die nötigen finanziellen Mittel verfügen.

Was können Wissenschaftlerinnen wie Sie dazu beitragen, dieser Entwicklung entgegenzuwirken?

Ich versuche ganz einfach andere Design-Ideale einzubringen - wie etwa "Somaesthtics". Mit dieser Theorie in meinem Hinterkopf werde ich nie designen können, ohne dabei Genderfragen zu berücksichtigen, weil man eben nicht für einen abstrakten, "normalen" Körper designen kann – denn den gibt es nicht. Für mich geht es darum, immer einen wissenschaftlichen Ansatz zu finden, der es erlaubt, Unterschiede zu erkennen und sie als wichtig zu begreifen.

Mir ist es außerdem sehr wichtig, sich auch mit "niederem Design" zu beschäftigen – also mit Dingen, die alltäglich sind und damit für viele Menschen sehr wichtig. Es wird einem oft das Gefühl vermittelt, als wäre das minderwertig gegenüber dem Designen für die effiziente Produktion oder die Industrie. Das ist eine sehr gefährliche Entwicklung. Wir müssen uns daran erinnern, was es heißt Mensch zu sein, uns selbst und die soziale Interaktion zu genießen – und eben nicht zu vergessen, was das Leben lebenswert macht.

Interview: Theresa Aigner, science.ORF.at

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