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ein Ring dunkler Materie

Ein wenig Licht ins Dunkel

Dunkle Materie und Dunkle Energie: Beides sind Phänomene, die für das Universum grundlegend sind, die aber bisher nicht direkt nachgewiesen werden konnten. Neue Studien widmen sich nun zwei exotisch klingenden Erklärungen: "Chamäleonfeldern", die sich unseren Blicken entziehen, und "Wimps" – quasi Schwächlingen im Teilchenzoo der Physik.

Physik 21.08.2015

Nur fünf Prozent des Universums bestehen aus Materie, wie wir sie von der Erde kennen; der Rest aus Dunkler Materie und Dunkler Energie. So sehr sich die beiden "dunklen Zwillinge" bisher ihrer experimentellen Bestätigung entzogen haben, so sehr sind sie für die Theorie notwendig.

Die Dunkle Materie braucht die Physik, um die Rotationsgeschwindigkeit von Galaxien zu erklären. "Sie müssen viel mehr Materie besitzen als man nach ihrer Leuchtkraft annehmen würde", sagt Hartmut Abele vom Atominstitut der Technischen Universität (TU) Wien gegenüber science.ORF.at. Die Dunkle Energie wiederum soll erklären, warum sich das Weltall immer schneller ausdehnt.

Woraus die beiden mysteriösen Phänomene bestehen, ist nach wie vor unklar. Forschergruppen haben nun aber in "Science" Studien vorgestellt, die den Kreis der Kandidaten eingrenzen. Gemeinsam mit seinem Kollegen Jörg Schmiedmayer hat Abele parallel dazu einen Überblicksartikel veröffentlicht.

Die Studien:

"Atom-interferometry constraints on dark energy" von Paul Hamilton und Kollegen "Exclusion of leptophilic dark matter models using XENON100 electronic recoil data" von der XENON Collaboration sind am 20. August in "Science" erschienen.

Ö1 Sendungshinweis:

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 21.8., 13:55 Uhr.

Tief unter den Abruzzen

Ein wichtiger Ort für die Erforschung von Dunkler Materie ist ein unterirdisches Labor in Mittelitalien. Mehr als tausend Meter unter dem Gebirgszug der Abruzzen suchen Physiker im "Laboratori Nazionali del Gran Sasso" nach exotischen Teilchen. Die Felsen schützen die Messgeräte vor der störenden kosmischen Strahlung, die sich damit u.a. auf die Suche nach schwach wechselwirkenden Teilchen machen können.

Diese "Wimps" (was auf Englisch "Schwächlinge" bedeutet, aber auch "weakly interacting massive particles" abkürzt) gelten als heiße Kandidaten bei der Frage, woraus Dunkle Materie besteht. Hinweise auf solche "Wimps" hat ein Team 1998 in dem Labor tief unter der Erdoberfläche entdeckt – und diese Signale als Ausdruck von Dunkler Materie interpretiert.

Jahreszeitliche Änderungen der Signale hätten für diese Annahme gesprochen, erklärt Hartmut Abele. Die neue Studie der internationalen Xenon-Collaboration spricht nun aber dagegen. "Das Xenon-Experiment ist 1.000 Mal genauer. Und weil es die Signale von 1998 nicht erneut messen konnte, gibt es somit auch nicht diesen direkten Hinweis auf Dunkle Materie", sagt Abele.

Was aber nicht heißt, dass "Wimps" nun völlig aus der Reihe der möglichen Erklärungsversuche herausfallen. Einige besonders exotische Teilchen – wie die theoretisch aufgestellten Axionen oder Neutralinos – liegen weiter im Rennen.

Quintessenz-Theorie

Nicht weniger exotisch geht es bei der Frage nach der Dunklen Energie zu: Hier hat die TU Wien im vergangenen Jahr selbst einen bedeutsamen Beitrag geleistet. Abele und Kollegen haben dabei die sogenannte Quintessenz-Theorie experimentell überprüft. Ihr zufolge gibt es ein bisher unbekanntes Feld, das ähnlich wirkt wie das 2012 am CERN-Teilchenbeschleuniger nachgewiesene Higgs-Feld. Für die Entdeckung der Higgs-Bosonen ("Gottesteilchen"), die den Teilchen ihre Masse verleihen, gab es vor zwei Jahren den Physik-Nobelpreis.

Ähnlich ist das, was die Physiker in Anlehnung an die irdische Tierwelt "Chamäleonfeld" nennen. Es heißt deshalb so, weil es sich laut Theorie unserem Blick gut entziehen kann. Konkret: weil Chamäleonteilchen ihre Masse je nach der Dichte der umgebenden Materie verändern können.

"Auf der Erde, wo die Dichte sehr hoch ist, hätten diese Chamäleonteilchen nur einen geringen Einfluss. Das ist auch der Grund, warum sie hier bisher noch nicht aufgefallen sind", sagt Abele. "Im Weltall hingegen, wo die Dichte sehr gering ist, könnten sie einen großen Einfluss haben und etwa die Ausdehnung des Universums erklären."

Chamäleons wie Äther?

Die "Chamäleonteilchen" koppeln laut Theorie an die "normale" Materie. Wie stark solche Kopplungen sein können, weiß man durch Messungen von Abele und seinem Team genauer als zuvor. Im Vorjahr konnten sie die Grenzen für mögliche Chamäleonfelder bereits um einen Faktor von zehn Millionen einschränken. Und in der aktuellen "Studie" wurde ein Team um Holger Müller von der Universität Berkeley noch genauer.

Fazit: Die Grenzen für die Teilchen sind schon ziemlich eng. Mit aktueller Technik ist es nur eine Frage der Zeit, bis entschieden werden kann, ob es die Chamäleonteilchen gibt oder nicht. Im positiven Falle hätte man endlich die lang ersehnte materielle Basis für die Dunkle Energie, im negativen Fall geht die Suche weiter.

Übrigens: Die Quintessenz-Theorie, deren Chamäleonfelder vielleicht bald ad acta gelegt werden können, bekam ihren Namen aus der antiken Philosophie. Bezeichnet wurde damit auf Latein das fünfte Element – im Gegensatz zu Feuer, Erde, Wasser und Luft galt es als nicht wandelbar. Die Theorie stammt ursprünglich von Aristoteles, und der hat das Element "Äther" genannt. Was als Trägermedium für Licht in der Physik des 20. Jahrhunderts "abgeschafft" wurde, könnte nun also unter neuem Namen wiederkehren. Oder auch nicht, die Suche geht weiter.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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