Außerdem: Weniger Gedanken über theoretische Inhalte, dafür mehr individuelle Beratungsangebote - das ist für Günther zentral, wenn es darum geht, "Entrepreneurship" zu fördern.
science.ORF.at: Sie sind der ETH Zürich seit vielen Jahren treu geblieben - sie waren Post-Doc, Assistent, Professor und jetzt sind Sie seit einigen Monaten Vizepräsident für Forschung und Wirtschaftsbeziehungen. Warum sind Sie immer an der Hochschule geblieben - hat Sie der "unternehmerische Geist" nie ergriffen?
Detlef Günther: Ich war immer fasziniert von der Grundlagenforschung, und es war meine Neugier, die mich von einer Position zur nächsten gebracht hat. Ich hatte dreimal die Möglichkeit - das liegt in der Natur meiner Wissenschaft (Analytische Chemie, Anm.) -, mich mit eigenen Produkten selbständig zu machen. Ich hatte aber immer die Befürchtung, dass ich, wenn ich eine eigene Firma gründe, in einen Konflikt mit meiner Neugier gerate. Und diesen Konflikt wollte ich gar nicht erst aufkommen lassen.
Haben Sie diese Karriere so geplant bzw. kann man das überhaupt planen?
Ich habe viele Seminare besucht, aber niemals ein Karriereseminar. Ich bin einfach meiner Neugier gefolgt und fand das, was wir machen, faszinierend. Und irgendwann kamen Resultate zustande, bei denen ich daran geglaubt habe, dass es an der Zeit ist, Professor zu werden und eine eigene Forschungsgruppe zu leiten. Und nachdem ich gefragt wurde, ob ich die Vizepräsidentschaft übernehmen möchte, habe ich mich auch ein Stück weit verpflichtet gefühlt, der Hochschule etwas von dem zurückzugeben, wovon ich maßgeblich profitieren konnte.

ETH Zürich / Oliver Bartenschlager
Zur Person:
Detlef Günther war bis vor Kurzem Professor für analytische Chemie an der ETH Zürich, seit Beginn des Jahres 2015 ist er als Vizepräsident der ETH zuständig für Forschung und Wirtschaftsbeziehungen.
Technologiegespräche Alpbach:
Von 27. bis 29. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet "UnGleichheit". Davor erscheinen in science.ORF.at Interviews mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die bei den Technologiegesprächen vortragen oder moderieren. Detlef Günther wird am Arbeitskreis "Entrepreneurship: Was kann das Wissenschaftssystem beitragen?" in Alpbach teilnehmen.
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Und wie stellt sich eine wissenschaftliche Karriere für junge Menschen heutzutage dar? Würden Sie Ihnen raten, diesen Weg einzuschlagen?
An der Ausgangslage hat sich nichts geändert. Wenn man das Potenzial sowie Freude an Forschungsaktivitäten und -resultaten hat, intrinsisch motiviert ist und auch ein bisschen Idealismus mitbringt, dann würde ich Studierende jederzeit dazu ermuntern, diesen Weg zu gehen. Es gibt keinen schöneren Beruf als Professor an einer Universität zu sein und dadurch immer wieder mit neuen Generationen in Verbindung zu kommen.
Was spricht dann aber dafür, die Universität zu verlassen und sich selbstständig zu machen? Stichwort: Entrepreneurship.
Die Grundlagenforschung führt nicht immer zu einem direkt anwendbaren Resultat. Aber es gibt auch Grundlagenforschung, bei der man sofort erkennt, dass diese Idee so innovativ ist, das man sie vermarkten könnte. Das machen heutzutage immer mehr Menschen, und alle, die es wagen, wissen, dass das sehr viel Arbeit ist und viel Energie kostet. Diese jungen Menschen sind von ihrer Idee überzeugt. Diese Überzeugung resultiert auch aus der Unterstützung und dem Vertrauen, das wir ihnen entgegenbringen.
Mit welchem Wissen muss man die Studierenden an der Universität ausstatten, damit sie für die Selbständigkeit gerüstet sind?
Es geht nicht um bestimmte Inhalte. Sie müssen erreichen, dass die Interessierten mit den IP-Rechten (Interlectuall Property, Anm.) oder dem Risikokapital entsprechend vernünftig umgehen. Das können sie aber nicht theoretisch lernen. Sie müssen vielmehr auf ihrem eigenen Weg zur richtigen Zeit Coaches und Mentoren zur Seite gestellt bekommen.
Das heißt, persönliche Beratung ist wichtiger als theoretische Bildungsangebote an der Universität?
Das einzige, was uns heutzutage wirklich fehlt, ist Zeit zum Nachdenken. Und viele, die Empfehlungen für den Nachwuchs abgeben, sprechen von noch mehr Kursen, noch mehr Meetings, noch mehr Lehrinhalten. Das geht aber nicht auf. Wir müssen den Studierenden vielmehr dann, wenn sie es wirklich brauchen, die richtigen Beratungsangebote zur Verfügung stellen. Wir können nicht vorgefertigte Kurse anbieten und darauf hoffen, dass die Studierenden alles Wesentliche mitbekommen.
Wenn wir von der individuellen Ebene weggehen und die Universität als Institution betrachten: Wie muss sie den Wissenstransfer zwischen Uni, Gesellschaft und Wirtschaft organisieren?
Dieser Wissenstransfer ist - was die ETH Zürich anbelangt - schon sehr gut organisiert. Wir müssen für eine Balance von Grundlagenforschung und angewandter Forschung sorgen und darüber hinaus den Freiraum bieten, der den Wissens- oder Innovationstransfer ermöglicht. Die Gesellschaft hat uns diesen Auftrag gegeben und den erfüllt die ETH Zürich bereits seit 160 Jahren. Seit 1998 wurden an unserer Hochschule über 300 Spin-Offs gegründet.
Fühlen Sie sich auch sozialen Innovationen verpflichtet?
Soziale Innovationen sind unser Tagesgeschäft - in Form von Ausbildung von jungen Talenten. Die ETH Zürich trägt zur Ausbildung der Führungskräfte in der Schweiz maßgeblich bei und das nicht erst seit kurzem. Wenn wir jetzt gut ausbilden, bestimmen wir in den nächsten zwanzig Jahren mit, wie die Gesellschaft zusammen lebt. Wir haben einen lange Tradition in der Lehre und für uns ist sie neben Forschung und Wissenstransfer unsere Hauptaufgabe. Wir sind als Hochschule nicht nur an 100-Meter-Läufen beteiligt, sondern auch 10.000-Meter-Läufen, und das heißt, vorauszudenken, was in zwanzig Jahren sein wird. Ich würde sagen, dass wir in beiden Kategorien schon ein paar Mal gewonnen haben.
Das heurige Überthema in Alpbach lautet: "Ungleichheit". Was kann die Idee von Entrepreneurship hier beitragen? Eröffnet sie Möglichkeiten bestehende Ungleichheiten zu verringern?
Die Frage nach "Ungleichheit" führt uns zur Frage, mit welchen Themen wir uns als Hochschule befassen. Wenn wir uns nur mit jenen Themen befassen, die zu immer mehr wirtschaftlichen Gewinnen führen, dann stimulieren wir damit Ungleichheiten. Wenn wir uns aber auch den Problemen widmen, die wir als gesellschaftlich relevante Herausforderungen begreifen - etwa der Klimawandel, die Energieversorgung oder die Welternährung - dann glaube ich schon, dass wir durch Forschung zu einer Verringerung der Ungleichheit beitragen können.
Nun zu einem anderen, aktuellen Thema: Die ETH Zürich hat beim kürzlich erschienenen "Shanghai-Ranking" als beste kontinentaleuropäische Hochschule abgeschnitten (Platz 19) - was bringen solche Ranking-Erfolge?
Mein Einfluss auf diese Ranking-Ergebnisse wird sich vielleicht im Jahr 2035 bemerkbar machen. Was uns dieses Ranking aber zeigt, ist, dass das Investment, das die Schweiz in Bildung und Forschung tätigt, der richtige Weg ist. Das erkennt man daran, dass die Schweiz in der Statistik der Länder nach den USA und Großbritannien auf Platz drei liegt.
Ein anderes Ranking ist das "Innovation Union Scoreboard" der Europäischen Kommission. Unter den EU-Staaten liegt Schweden auf Platz eins, europaweit betrachtet nimmt Jahr für Jahr die Schweiz den ersten Platz ein. Welche (universitären) Rahmenbedingungen tragen dazu bei?
Wir sind in der glücklichen Situation, dass in der Schweiz die Grundlagenforschung auf eine solide finanzielle Basis gestellt ist. Dadurch entwickeln sich bottom-up extrem viele intrinsisch motivierte Ideen und Innovationen, die umgesetzt werden können. Die gesamte Infrastruktur in der Schweiz bietet einfach extrem gute Rahmenbedingungen für Innovationen.
Österreich liegt in diesem Ranking auf Platz elf und zählt somit zu den "Innovation Followers". Was werden Sie den österreichischen Kollegen und Kolleginnen in Alpbach empfehlen, um in diesen Innovations-Rankings aufzuschließen?
Ich weiß nicht, ob ich in der Position bin, Empfehlungen abzugeben. Was ich aber sagen kann: Wenn man etwas installieren will, muss das ganze Umfeld stimmen. Die Schweiz bzw. die ETH Zürich durchläuft seit 160 Jahren einen kontinuierlichen Entwicklungsprozess. Jetzt möchte man in Österreich nicht 160 Jahre warten, das verstehe ich. Was meiner Meinung jedenfalls nicht funktioniert, ist zu sagen: Ich kaufe mir jetzt eine Professur in Entrepreneurship und dann habe ich alles, was ich brauche. Die Entwicklung muss in die Breite und in die Tiefe gehen, und man muss sich im Klaren sein, dass das heutzutage viel Geld kostet.
Schauen Sie sich doch einmal jene Universitäten an, die im Shanghai-Ranking die ersten zehn Plätze belegen und wie hoch dort das Forschungsbudget ist. Es braucht also nicht nur gute Ideen und kreative Köpfe, sondern auch die nötigen finanziellen Mittel. Natürlich ist es immer unser Ziel, die kreativsten Köpfe zu kriegen, aber die brauchen auch eine Infrastruktur, die "state of the art" ist, um die kreativen Ideen weiterzuentwickeln. Und das geht nur mit dem entsprechenden Budget.
Das heißt, Ihre zentrale Botschaft in Alpbach wird sein, mehr Geld in die Forschung zu stecken, wenn man innovativ sein will?
Das ist nur eine Botschaft. Was ich aber vor allem sagen möchte: Junge, talentierte Menschen brauchen Freiräume, Vertrauen und Lehrangebote. Ihre Fragen zu Unternehmertum sollten beantwortet und verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt werden. Wichtig ist, dass wir ihnen helfen, die gröbsten Fehler zu vermeiden. Wenn wir also unsere Studierenden um die grössten Schlaglöcher herumführen können, ist viel erreicht.
Interview: Theresa Aigner, science.ORF.at