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Drei Frauen schieben Kinderwagen

Fehlender Nachwuchs in Südeuropa

Kinder, die in Armut geboren werden, haben wenig Chancen auf eine bessere Zukunft. In der EU trifft das vor allem auf Mittelmeerstaaten zu. Dort wollen zudem immer weniger Menschen Nachwuchs bekommen, denn sie können sich eine Familiengründung schlicht nicht mehr leisten.

Technologiegespräche Alpbach 29.08.2015

"Zu viel Verteilungsungleichheit schadet dem sozialen Zusammenhalt und auch der wirtschaftlichen Entwicklung", sagt Stefani Scherer, Soziologin an der Universität Trient, gegenüber science.ORF.at.

Im Rahmen der Technologiegespräche des Forums Alpbach spricht sie die prekäre wirtschaftliche Situation von Jungfamilien im Mittelmeerraum an, mit negativen Folgen für die Gesellschaft: "Familien in instabilen Erwerbspositionen haben weniger Kinder." Das Resultat: Geht die Geburtenrate zurück, wird die Gesellschaft älter. Betreuung im Alter werde daher künftig schwieriger - Stichwort: Pensionen.

Arbeitsmarkt als Hemmschuh

Die Soziologin Stefanie Scherer in Alpbach mit einem Mikro in der Hand

ORF/Hans Leitner

Stefani Scherer in Alpbach

Technologiegespräche in Alpbach:

Von 27. bis 29. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion . Das Thema heuer lautet "UnGleichheit". Davor sind in science.ORF.at Interviews mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die bei den Technologiegesprächen vortragen oder moderieren.

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Ö1 Hinweise:

Eine Reihe von Sendungen begleitet das Europäische Forum Alpbach 2015 in Ö1. Die Technologiegespräche stehen im Mittelpunkt von Beiträgen in den Journalen, in Wissen aktuell, in den Dimensionen und bei der Kinderuni.

Auswertungen von Eurostat und nationaler Statistiken zeigen alarmierende Trends für die junge Generation in Südeuropa. Die Veränderungen am Arbeitsmarkt, prekäre Beschäftigungsverhältnisse und hohe Arbeitslosigkeit haben sich laut Scherer durch alle Schichten gezogen. Die Entscheidung, keine Kinder zu bekommen, würde daher immer mehr junge Menschen treffen. Ein Problem, das ganz Europa betrifft, jedoch Länder in Südeuropa im Besonderen.

Jeder dritte Süditaliener ist etwa mittlerweile von Armut gefährdet, heißt es vom italienischen Wirtschaftsinstitut. "Wird ein Kind in eine armutsgefährdete Familie geboren, wächst es mit wesentlichen Nachteilen für seine Zukunftschance auf", so Scherer, die als Beispiel die eingeschränkten Bildungschancen nennt.

Staatliche Wohlfahrt fehlt

Laut der Professorin der Universität Trient zeigt sich, dass sich in Südeuropa die Deregulierung des Arbeitsmarktes negativ auf die Geburtenrate auswirke. Das sei aber nicht in allen EU-Ländern so, "was mit großzügigeren wohlfahrtsstaatlichen Transferleistungen zusammenhängt".

In Südeuropa könne sich ein Haushalt, in dem beide Partner erwerbstätig sind, vor Armut schützen. "Daher ist es so wichtig, vor allem in den Gesellschaften mit weniger entwickelten Wohlfahrtsstaaten, die Frauen vermehrt in gute Beschäftigungen zu bringen", so die Soziologin.

Der "nicht sehr entwickelte Wohlfahrtsstaat" in südeuropäischen Ländern verstärke nämlich die Ungleichheit. Staatliche Transferleistungen seien in diesen Ländern deutlich geringer als etwa in Deutschland oder Österreich, wo der Staat noch "großzügig zu Familien ist". Auch die generell niedrigeren Löhne in Südeuropa würden eine Familiengründung erschweren. Finanzielle Quellen seien deswegen die Eltern oder eben das – meist niedrige – Einkommen.

Frauen in Berufe bringen

Die zunehmende Erwerbstätigkeit der Frauen habe die ökonomische Ungleichheit verringert. Laut der Soziologin, müssten Frauen verstärkt "in den Arbeitsmarkt reingehen". Ein Lösungsansatz, der dem fehlenden Wohlfahrtsstaat entgegenwirkt, durch die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit aber schwer umzusetzen sei.

Die Uni-Professorin sieht aber generell einen Vorteil für jene Familien, bei denen beide Partner einem Beruf nachgehen, wobei es auch hier Gefahren gibt: Verliert ein Familienmitglied seinen Job, werde die finanzielle Situation der Familie meist knapp.

Scherer beschreibt die angespannte Lage: "Ein ebenfalls verdienender Partner kann natürlich einen vorrübergehenden Einkommensverlust des anderen ausgleichen und damit sozialen Risiken entgegenwirken. Allerdings ist es mit diesen 'Kompensationsmechanismen' nicht arg weit her." Heißt: Die Familie kann den Sozialstaat nicht ersetzen.

Philipp Maschl, science.ORF.at

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