Grund zur Panik besteht laut den britischen Forschern aber nicht. Die Behandlung mit derartigen Hormonen wurde vor 30 Jahren eingestellt. Und generell ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass Gehirngewebe von Alzheimer-Patienten in den menschlichen Organismus gelangt. Die Entdeckung könnte aber ein weiteres Puzzlestück zur immer noch ungeklärten Genese der neurodegenerativen Erkrankung sein, die aufgrund der steigenden Lebenserwartung in den Industrienationen immer häufiger wird.
Behandlung mit Spätfolgen
Die Studie in "Nature":
"Evidence for human transmission of amyloid-ß pathology and cerebral amyloid angiopathy" von Z. Jaunmuktane et al., erschienen am 10. September 2015.
CV Herbert Budka:
Die in der aktuellen Studie festgestellten "Infektionen" sind vermutlich die Folge einer für heute schwer vorstellbaren Praxis: Von 1958 bis 1985 wurden vor allem Kinder mit Wachstumsstörungen mit einem Wachstumshormon behandelt, das chemisch aus den Hypophysen bzw. Hirnanhangdrüsen von Toten gewonnen wurde. Weltweit haben in diesem Zeitraum etwa 30.000 Menschen eine solche Therapie erhalten.
Laut Herbert Budka von der Medizinischen Universität Wien war sie seinerzeit auch in Österreich die Standardtherapie für kleinwüchsige Kinder, da erst später andere Hormonpräparate erhältlich waren.
Erst als in den 1980er Jahren die ersten Fälle der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) unter den Behandelten auftraten, wurde die Methode eingestellt. Die CJ-Krankheit ist eine tödlich verlaufende Gehirnerkrankung, die durch falsch gefaltete und infektiöse Eiweiße, sogenannte Prionen, ausgelöst wird. Die Fehlfaltung überträgt sich wie in einer Kettenreaktion auf gesunde Eiweiße. Ansteckungen gab es beispielsweise früher bei medizinischen oder operativen Eingriffen.
Offenbar waren manche der aus den damals zu Tausenden gesammelten Hypophysen gewonnenen Hormone verunreinigt: mit krankmachenden Prionen, die zum Teil erst Jahrzehnte später zu CJK geführt haben. Weltweit sind etwa mehr als 200 auf diese Weise verursachte Erkrankungen registriert. Laut Gabor G. Kovacs vom Referenzzentrum für Prionenerkrankungen an der MedUni Wien gab es in Österreich einen einzigen Fall von CJK als Folge von Wachstumshormonen. Man wisse allerdings nicht, welche Präparate die betroffene Person genau erhalten habe.
Alzheimer-Proteine entdeckt
Die Forscher um Zane Jaunmuktane vom National Hospital for Neurology and Neurosurgery in London haben nun die Gehirne von acht Betroffenen in Großbritannien analysiert, die im Alter von 36 bis 51 Jahren verstorben sind. Bei sechs Toten stießen sie auf eine andere Art fehlgefalteter Proteine, nämlich Ablagerungen von Amyloid-ß-Eiweißen in den Blutgefäßen und in der grauen Substanz des Gehirns.
Diese sogenannten senilen Plaques sind typische Kennzeichen von Alzheimer und bei jüngeren Menschen sehr ungewöhnlich. Andere Merkmale der Demenzerkrankung fanden sich jedoch keine.
"Prionenartige" Ausbreitung
Aus den Beobachtungen entwickelten die Forscher folgende Theorie: Einige der Spender der Hirnanhangdrüsen, aus denen die verabreichten Wachstumshormone gewonnen wurden, hatten Alzheimer. Die Amyloid-ß-Eiweiße - so die Vermutung - verhalten sich damit ähnlich wie Prionen. In das Gehirn der Betroffenen wären sie demnach auf den gleichen Weg wie die CJK-Prionen gelangt.
Wie Budka bestätigt, zeigen einige Studien, dass sich die krankmachenden Proteine neurodegenerativer Erkrankungen - wie z.B. Morbus Alzheimer und auch Morbus Parkinson - tatsächlich "prionenartig" ausbreiten können: "Ich persönlich spreche lieber von 'seeding' (vom englischem 'seed' für 'Keim' oder 'Saat', Anm.) statt von 'Alzheimer- oder Parkinson-Prionen'." Tatsächlich erkläre diese Eigenschaft vieles an der Ausbreitung des Krankheitsprozesses im Gehirn. Im Gegensatz zu den "echten" Prionen konnte aber bisher bei Alzheimer- und Parkinson-Proteinen kein echter infektiöser Zyklus gezeigt werden.
Keine Ansteckungsgefahr
Auch die Forscher um Jaunmuktane betonen, dass es keine Hinweise darauf gibt, dass die Alzheimer-Erkrankung an sich ansteckend ist. Dennoch sollte geprüft werden, ob bei medizinischen Eingriffen, etwa über chirurgische Instrumente oder Blutprodukte, Amyloid-ß-Eiweiße übertragen werden können. Es sei bekannt, dass diese Eiweiße an Metalloberflächen hafteten und übliche Sterilisationsmethoden überstehen. Bei der Pflege oder dem Umgang mit Alzheimer-Patienten bestehe aber keine Gefahr einer Ansteckung.
Um die Ergebnisse zu untermauern, sollten eventuell noch vorhandene Reste der Wachstumshormone darauf getestet werden, ob sie Amyloid-ß-Eiweiße enthalten, schreiben Mathias Jucker von der Universität Tübingen und Lary Walker von der Emory University in Atlanta in einem Kommentar zu der Studie. Außerdem sei es nötig, die noch lebenden Empfänger weiter zu beobachten und zu prüfen, ob sie ein erhöhtes Risiko für Alzheimer tragen. Bisherige Untersuchungen lieferten keine Hinweise darauf.
Eva Obermüller, science.ORF.at/dpa