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Blutzellen unter dem Mikroskop

Parasiten- und Malariaforscher ausgezeichnet

Der Medizinnobelpreis ehrt heuer Forscher, die Behandlungen von gefährlichen Tropenkrankheiten entwickelt haben. Die eine Hälfte erhält die chinesische Malariaforscherin Youyou Tu; die zweite Hälfte teilen sich der gebürtige Ire William C. Campbell und der Japaner Satoshi Omura für ihre Arbeiten zu Krankheiten, die durch Würmer verursacht werden.

Medizinnobelpreis 05.10.2015

Das teilte das Karolinska-Institut am Montag in Stockholm mit. Die höchste Auszeichnung für Mediziner ist mit umgerechnet 850.000 Euro (acht Millionen schwedischen Kronen) dotiert.

"Hunderte Millionen Menschen jährlich betroffen"

Von Parasiten verursachte Krankheiten träfen vor allem die ärmsten Menschen der Welt, hieß es in der Mitteilung des Karolinska-Instituts. "Die diesjährigen Nobelpreisträger haben Therapien entwickelt, die die Behandlung einiger der verheerendsten Parasitenkrankheiten revolutioniert haben."

Die Entdeckung entsprechender Wirkstoffe habe der Menschheit "kraftvolle Mittel geliefert, verheerende Krankheiten zu bekämpfen, die Hunderte Millionen Menschen jährlich betreffen".

William Campbell (1930) arbeitet an der Drew University im US-Bundesstaat New Jersey, Satoshi Omura (1935) an der Universität Kitasato in Tokyo und Youyou Tu (1930) an der Chinesischen Akademie für traditionelle chinesische Medizin.

Youyou Tu im Jahr 2011

Associated Press

Youyou Tu (1930) von der Chinesischen Akademie für traditionelle chinesische Medizin

Porträtfoto von Satoshi Omura

Associated Press

Satoshi Omura (1935) von der Universität Kitasato in Tokyo

William C. Campbell im Labor

Drew University

William Campbell (1930) von der Drew University im US-Bundesstaat New Jersey

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Ö1-Sendungshinweise

Die Ö1 Journale und Ö1 "Wissen aktuell" berichten in der "Nobelpreiswoche" von 5. bis 9. Oktober über alle Auszeichnungen.

Malaria-Mittel aus traditioneller chinesischer Medizin

Tu ist erst die zwölfte Frau, die den Medizinnobelpreis erhält. Sie hat bereits vor über 40 Jahren den Pflanzenstoff Artemisinin aus dem Einjährigen Beifuß isoliert. Er wirkt gegen Malaria und hat die Sterblichkeitsrate Erkrankter deutlich reduziert.

Der Malaria-Erreger Plasmodium falciparum, ein einzelliger Parasit, wird durch den Stich der Anopheles-Mücke übertragen. Als Standardmittel gegen Infektionen mit dem Erreger werden seit Langem Medikamente eingesetzt, die auf Artemisinin beruhen. In der traditionellen chinesischen Medizin wurde der Wirkstoff zwar schon seit 2.000 Jahren verwendet. Youyou Tu war aber die Erste, die zeigen konnte, das sich Artemisinin erfolgreich gegen Malaria einsetzen lässt.

"Man hat schließlich bemerkt, dass es bei der Behandlung mit Artemisinin als Monosubstanz zu einer hohen Zahl von Rückfällen kam", erklärte am Montag der Wiener Tropenmediziner Herwig Kollaritsch. "Deshalb kombinierte man dann Artemisinin mit anderen Substanzen und schuf die Artemisinin-Kombinationstherapie. Leider zeigen sich vor allem in Indochina immer mehr Resistenzen. Aber das Zurückdrängen der Malaria ist sicherlich zur Hälfte auf die Moskitonetze und zur anderen Hälfte auf diese Medikamente zurückzuführen."

Nach neuesten Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom September gab es in diesem Jahr rund 214 Millionen Neuerkrankungen, etwa 438.000 Menschen starben daran. Die meisten Opfer sind afrikanische Kinder.

Gefährliche Tropenkrankheiten

Campbell und Omura wiederum haben die Wirkstoffklasse der Avermectine entwickelt, und das hat wirksame Medikamente gegen die Tropenkrankheiten Flussblindheit und Elephantiasis ermöglicht.

"Die Flussblindheit ist das Endstadium der Wurmerkrankung Onchozerkose. Übertragen wird sie durch Kriebelmücken, die in den Wäldern an Flussläufen leben. Dort haben sich in Afrika wegen der Fruchtbarkeit der Regionen auch die Menschen vermehrt angesiedelt", erklärte Kollaritsch. Die Mücken übertragen die Larven der Fadenwürmer, die im Körper ausreifen und wieder Larven bilden. Bei der Flussblindheit wandern Letztere ins Auge ein.

Omura und Campbell ließen mit Ivermectin, eine Abwandlung von Avermectin, die Eliminierung der Flussblindheit in Reichweite rücken. "Ivermectin hat eine tolle Wirkung. Es tötet die Larven ab und macht die erwachsenen weiblichen Würmer steril. Das unterbricht die Vermehrung. Und weil in der Folge auch die Mücken nicht mehr die Larven übertragen, unterbricht das auch den Übertragungskreislauf", sagte Kollaritsch.

Es gab zwar auch schon vorher Medikamente, aber diese waren nur teilweise wirksam bzw. mit hohen Nebenwirkungen verbunden. Ivermectin wirkt sowohl gegen die Onchozerkose als auch gegen Elephantiasis.

Mikroorganismen beim Golfspielen

Der Ausgangspunkt für die Entwicklung von Avermectin und Ivermectin war klassische Wirkstoffforschung. Omura arbeitete als Mikrobiologe mit Streptomyces-Bodenbakterien. Aus einem Stamm gewann man ehemals das erste TBC-Medikament (Streptomycin) sowie weitere antibiotisch wirksame Substanzen. Der Wissenschaftler isolierte von mehreren tausend Kulturen die 50 am meisten Erfolg versprechenden für die weitere Entwicklung.

"Ich nehme den Preis dankbar an", sagte Omura am Montag und gab sich angesichts seines Beitrags bescheiden: "Es gab viele Forscher, die Wichtiges beigetragen haben, meine Forschung war gar nicht so entscheidend." Er habe dazu beigetragen zu zeigen, wie wichtig Mikroorganismen in der Natur sind. Den Mikroorganismus, der entscheidend für die Entwicklung von Avermectin war, fand der leidenschaftliche Golfspieler damals "sehr nahe an einem Golfplatz", sagte der neue Nobelpreisträger.

Jedenfalls bekam der US-Parasitologe Campbell Kulturen von Omura. Er fand heraus, dass einer der aus ihnen gewonnenen Wirkstoffe hocheffizient gegen Parasiten von Rindern etc. war. Man wandelte die Ursprungssubstanz schließlich in Ivermectin ab und hatte damit den neuen Wirkstoff für den Einsatz beim Menschen.

Am Dienstag folgt Physikauszeichnung

Am Dienstag folgt die Bekanntgabe des Physiknobelpreises, am Mittwoch jene für den Chemienobelpreis. Am Freitag wird der Friedensnobelpreis vergeben, kommenden Montag der Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften. Der Termin für die Bekanntgabe des Literaturnobelpreisträgers steht noch nicht offiziell fest, dieser sollte aber traditionsgemäß am Donnerstag gekürt werden.

Vergangenes Jahr war die Auszeichnung für Medizin an den US-Amerikaner John O'Keefe sowie das norwegische Forscherehepaar May-Britt Moser und Edvard I. Moser gegangen. Sie wurden für ihre Untersuchungen von Gehirnzellen ausgezeichnet, die der räumlichen Orientierung dienen.

science.ORF.at/APA/dpa

Die Medizinnobelpreise der vergangenen Jahre: