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Ein C. elegans-Exemplar in Nahaufnahme

Wie der Fadenwurm C. elegans "denkt"

Wiener Forscher haben herausgefunden, wie der Fadenwurm C. elegans "denkt". Genauer gesagt konnten sie aus der aufeinander abgestimmten Aktivität einzelner Nervenzellnetzwerken eindeutig die Verhaltensabsichten des klassischen Modellorganismus der Grundlagenforschung ablesen.

Hirnforschung 16.10.2015

Die Studie in "Cell":

"Global brain dynamics embed the motor command sequence of Caenorhabditis elegans" von S.Kato et al., erschienen am 15. Oktober.

Die Funktionsweise des Gehirns gehört laut den Forschern um Manuel Zimmer und sein Team vom Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) zu den spannendsten Rätsel der aktuellen Forschung. Die größte Schwierigkeit dabei: die Komplexität von Nervensystemen. So besteht zum Beispiel ein Mäusegehirn aus Millionen von Neuronen, die auf komplizierte Art miteinander verknüpft sind. Im Gegensatz dazu besitzt der etwa ein Millimeter lange Fadenwurm ein Nervensystem, das exakt 302 Nervenzellen umfasst.

Seit fast 30 Jahren weiß man, wie die einzelnen Nervenzellen im Gehirn des Wurms miteinander verknüpft sind und kennt somit seine neuronalen Schaltkreise, die ähnlich komplex aufgebaut sind wie bei größeren Organismen. Bisher konzentrierte sich die Forschung auf die Funktionen einzelner oder weniger Nervenzellen und deren Zusammenwirken, um Verhaltensweisen wie Bewegungen zu erklären. Beim Wurm wusste man bereits, wie einzelne Neuronen als isolierte Untereinheiten im Netzwerk funktionieren, jedoch nicht, wie sich Neuronengruppen untereinander koordinieren.

Gehirnweite Einzelzell-Auflösung

Dort setzte Manuel Zimmer, Gruppenleiter am IMP, mit seinem Team an: Er verwendete einerseits moderne 3D-Mikroskopiemethoden zur schnellen, gleichzeitigen Messung verschiedener Gehirnareale. Andererseits arbeitete er für seine Versuche mit Würmern, die durch Einbau eines Kalziumsensors bei Aktivität leuchten. "Diese Kombination war für uns genial, denn sie ermöglichte eine gehirnweite Einzelzell-Auflösung unserer Aufnahmen in Echtzeit", erklärte Zimmer die Vorteile seines Ansatzes.

Zimmer und sein Team testeten die Reaktion der Tiere auf Futterentzug und setzten sie dann bestimmten Reizen von außen aus. Unter dem Mikroskop bot sich den Forschern ein faszinierendes Bild: "Über das gesamte Gehirn verteilt sahen wir, dass ein Großteil der Neuronen stetig aktiv ist und sich koordiniert. Sie agieren wie in einem Ensemble", erklärt Postdoktorand Saul Kato. Die Tiere konnten sich bei diesen Versuchen nicht bewegen, ihre Reaktionen waren somit reine Gedankenspiele.

Beim Denken zusehen

Mit einer anderen Mikroskopiertechnik, entwickelt für frei bewegliche Würmer, konnten die Forscher herausfinden, welche Neuronen die Kommandos zur Ausführung einzelner Verhaltensabläufe erteilen. Zwischen bestimmten Netzwerkaktivitäten und dem Impuls für Bewegungen sahen sie eindeutige Zusammenhänge und konnten den Tieren somit regelrecht beim Denken zuschauen. Nicht nur kurze Bewegungen, sondern auch wie diese im Gehirn - wie beispielsweise bei der Futtersuche - zu längeren Verhaltensstrategien zusammengefügt werden, konnten sie so analysieren.

"Das ist bisher noch niemandem gelungen", so Zimmer. Ähnliche neurale Aktivitätsmuster wurden zwar auch bei höher organisierten Tieren entdeckt, doch die Forscher konnten immer nur einen kleinen Teil aller Nervenzellen in Unterbereichen des Gehirns untersuchen. Zimmer und seine Mitarbeiter sind überzeugt, dass im Fadenwurm - obwohl nur sehr entfernt verwandt mit den Säugetieren - grundlegende Prinzipien der Gehirnfunktion präzise beschrieben werden können.

science.ORF.at/APA

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