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Temperaturkurve der vergangenen Jahre

Die Mär von der unpolitischen Klimaforschung

Der UNO-Weltklimarat (IPCC) schreibt der Politik nichts vor, er versorgt sie bloß mit wissenschaftlichen Fakten. So lautet zumindest die offizielle Darstellung. Mathis Hampel hält das für eine fatale Selbsttäuschung. Wissenschaft sei immer politisch, sagt der östereichische Soziologe - und die Klimaforschung erst recht.

Klimadebatte 03.11.2015

science.ORF.at: Was ist das eigentlich: Klima?

Mathis Hampel: Was wir darunter verstehen, mag in anderen Kulturen unverständlich sein, weil es den Begriff nicht in jeder Sprache gibt. Wissenschaftler verstehen unter "Klima" folgendes: das durchschnittliche Wetter in einem Zeitraum von 30 Jahren oder mehr.

Porträt Mathis Hampel

Mathis Hampel

Mathis Hampel, 32, ist promovierter Wissenschaftssoziologe des King's College London. In seiner Dissertation über das sogenannte "Hockeys Stick-Diagramm" des US-Klimaforschers Michael Mann beschreibt er die Wechselwirkung von Klimawissenschaft und Klimapolitik. Zurzeit arbeitet er für das European Policy Network Politheor und das Climate Institute in Hanover, New Hampshire, und ist als freier Publizist tätig.

Klimaschwerpunkt

Anlässlich der bevorstehenden Weltklimakonferenz (COP21) in Paris berichtet der ORF in Radio, TV und Internet über Klimapolitik und den aktuellen Stand der Klimaforschung.

Ö1 Sendungshinweis:

Darüber berichtet auch das Mittagsjournal am 3.11. um 12:00.

Wer hat das festgelegt?

Die World Meterological Organization (WMO). Das ist natürlich eine Konvention. Es wäre interessant zu wissen, warum es gerade 30 und nicht 50, 100 oder 1.000 Jahre sind. Vielleicht, weil es der Dauer einer Generation oder einer Forscherkarriere entspricht? Laut WMO sind 30 Jahre jedenfalls lange genug, um gewisse jährliche Schwankungen herauszufiltern.

Im Dezember findet in Paris die nächste große Klimakonferenz (COP21) statt. Was wird sie bringen?

Bei dieser Konferenz werden sich 40.000 Leute treffen und intensive Gespräche führen. Diejenigen, die mit einer geringen Erwartungshaltung dorthin fahren, sind im Vorteil. Denn ich denke nicht, dass man sich auf einen legal verbindlichen Vertrag einigen wird, der die Erderwärmung unter zwei Grad hält.

Wer hat das Zwei-Grad-Ziel eigentlich erfunden?

Der Wert wurde von Forschern des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung vorgeschlagen. Der EU-Rat hat das Zwei-Grad -Ziel dann im Jahr 1996 erstmals erwähnt.

Viele Forscher sagen - zumindest hinter vorgehaltener Hand: Das Ziel ist nicht mehr zu erreichen. Warum hält man offiziell noch immer daran fest?

Die Symbolwirkung ist enorm. Würden wir uns davon lösen, so fürchtet man, wäre die Glaubwürdigkeit dahin. Man hat schlichtweg zu viel politisches Kapital in dieses Ziel investiert.

Aber ist die Glaubwürdigkeit nicht ohnehin gering? Im Resümee der Vorkonferenz zur COP21 steht: "Die Erreichung des Zwei-Grad-Ziels ist machbar und kostenwirksam." Ähnliche Passagen finden sich auch im letzten IPCC-Bericht. Der britische Klimaforscher Kevin Anderson hält das für Unsinn. Er schreibt: "Wir können das Klimaproblem nicht durch schrittweisen Eskapismus wegmassieren."

Ob die Erreichung des Zwei-Grad-Ziels kostenwirksam ist, können wir nur raten. Dafür verwenden Forscher die sogenannten "Integrated Assessment Modelle" (IAM): Die IAM füttern sie mit entsprechenden Annahmen, um sie auf zwei Grad zu trimmen.

Das Grundproblem ist nicht nur die Idee eines globalen Temperaturziels, sondern auch der Umgang mit diesen Modellen. Sie werden der Politik nämlich als objektive Simulationen der Zukunft angeboten, obwohl die Annahmen zum Teil sehr spekulativ sind.

So geht man beispielsweise davon aus, dass die Generationen nach uns wohlhabender sein werden, weil das in den letzten 50 Jahren auch so war. Und weil sie reicher werden, so das Argument, darf man ihnen bereits jetzt etwas von ihrem Wohlstand wegnehmen.

Was wird unseren Nachgeborenen in den Modellen weggenommen?

Die Ressourcen. Wir schöpfen die Naturressourcen jetzt schon aus.

Das heißt, der zukünftige Wohlstand wird im Modell von den Ressourcen entkoppelt?

Ja.

Ist das realistisch?

Nein.

Ich habe mir noch einen Satz von Kevin Anderson notiert. Er schreibt: "Es ist nicht unser Job, opportune Analysen zu liefern, um sich bei der Politik einzuschmeicheln."

Dem Satz stimme ich zu. Wenn Wissenschaftler behaupten, sie betreiben nur Wissenschaft und nicht Politik, dann stimmt das nur bedingt. Wissenschaft ist immer politisch.

Inwiefern?

Der Weltklimarat war von Anfang an ein politisches Instrument der UNO, um die Klimaerwärmung global zu bekämpfen. Dafür braucht es eine ganz bestimmte Art von Forschung. Der IPCC wurde Ende der 80er Jahre gegründet - also noch zur Zeit des Kalten Krieges. Die Russen wussten damals schon sehr viel über Klimageschichte, sie waren eine führende Nation der Paläoklimatologie.

Die heute so dominanten Klimamodelle stammen hingegen aus den USA und aus Großbritannien. Sie wurden ursprünglich zu einem ganz anderen Zweck entwickelt, als die Zukunft zu simulieren. Jedenfalls verdanken die Computermodelle ihren Erfolg auch dem IPCC - und sie haben umgekehrt auch die Politik beeinflusst. Klima wird heute global gedacht und direkt mit CO2 in Verbindung gebracht.

Zu dieser Erkenntnis hätte man aber auf anderen Wegen auch gelangen können.

Stimmt, aber die Betrachtung des CO2 in den Klimamodellen spart eines aus: Nämlich die Frage, wie diese Emissionen überhaupt zustande kommen, Stichwort Luxus- und Armutsemissionen: Wer ist denn für einen Großteil der Emissionen zuständig - die armen oder die reichen Länder?

Wenn die Modelle diese Frage ausblenden, reproduzieren sie auch die sozialen Ungerechtigkeiten dieser Welt. Somit sind sie politisch wirksam. Es gäbe auch andere Formen, den Klimawandel zu erzählen.

Zum Beispiel?

Der Papst hat in seiner Umweltenzyklika eine geboten. Wenn man sich die darin enthalten Begriffe ansieht, stellt man fest:

"CO2" kommt in dem 35.000 Wörter langen Dokument fünf Mal vor - "Klima" 14 Mal und "Armut" 59 Mal. Diese Erzählung handelt von Umwelt, Armut, Moral und Ethik.

Wäre es möglich, solche Erzählungen in Computermodelle zu übersetzen?

Ich denke schon. Zumindest könnte man die Grundannahmen unserer Wirtschaftsmodelle verändern. Unsere IAMs sind alle auf Wohlstandmaximierung getrimmt. Das globale Bruttonationalprodukt wächst und wächst und gleichzeitig gehen Inseln unter. Da stellt sich schon die Frage: Ist das ein wünschenswertes Ziel?

Was ist die Konsequenz? Sollte sich der IPCC reorganisieren?

Ja. Und das macht er - wenn auch äußerst langsam. Der IPCC war der erste zwischenstaatliche Weltwissenschaftsrat der Geschichte - insofern müssen wir ihn als Experiment betrachten. Und dass dieses Experiment immer auch ein politisches ist, muss nicht unbedingt schlecht sein. Wir können von diesen Erfahrungen lernen.

Das Beispiel macht übrigens Schule: Mittlerweile gibt es auch einen Weltrat für Biologische Vielfalt und einen Weltrat gegen Wüstenbildung. Vielleicht ist das ein Anzeichen dafür, dass es uns einmal gelingen wird, eine globale Umweltverfassung auf die Beine zu stellen. Die zentrale Frage ist: Auf wessen Wissen basiert diese Verfassung?

Solche Organisationen könnten der Politik allerdings auch als Feigenblatt dienen, nach dem Motto: Seht her, wir tun etwas - und in Wirklichkeit ändert sich wenig. Zumindest war das beim Kyoto-Protokoll so.

In der Wirklichkeit ändert sich wenig, weil Klimamodelle und IAMs als objektive "Tools" verkauft werden, um politische Entscheidungen zu unterstützen. Wenn der IPCC wirklich Vertrauen gewinnen will, darf er sich nicht hinter der "Objektivität" der Wissenschaft verstecken. Jede Wissenschaft ist auf gewisse Art und Weise politisch.

Interview: Robert Czepel, science.ORF.at

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