Standort: science.ORF.at / Meldung: "Klimawandel: Spielt das Wetter verrückt?"

Unwetter: Wolken türmen sich auf

Klimawandel: Spielt das Wetter verrückt?

Hitzewellen, Stürme, Überschwemmungen: Extreme Wetterlagen häufen sich. Ist der Klimawandel daran schuld? Die Frage scheint simpel - aber die Wissenschaft kann sie nicht eindeutig beantworten. Zumindest nicht so, wie wir das gerne hätten.

Extrem 13.11.2015

Sommer 2010. Während Russland unter einer außergewöhnlichen Hitzewelle ächzt, schlägt das meteorologische Pendel ein paar Tausend Kilometer südöstlich in die Gegenrichtung aus:

Extreme Niederschläge über Pakistan führen zu Überflutungen, tausende Gebäude sind zerstört, die Äcker im Süden für längere Zeit unbrauchbar. Laut dem Centre for Research on the Epidemiology of Disasters mit Sitz in Brüssel beträgt der wirtschaftliche Schaden 9,5 Milliarden Dollar.

"Die beiden Ereignisse hatten die gleiche Ursache", sagt Peter Hoffmann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Schuld daran ist offenbar die Erwärmung der Arktis. Sie verändert die Luftströmungen in der nördlichen Hemisphäre. Das gilt im Besonderen für den sogenannten Jetstream - das sind Starkwinde in 15 bis 20 Kilometer Höhe, die das Wetter in Nordamerika, Europa und Asien bestimmen.

"Jetstream kommt ins Schlingern"

"Der Jetstream kommt durch den Klimawandel ins Schlingern", erklärt Hoffmann. Und dieses Schlingern sorge für "extreme Konstellationen" - wie etwa 2010 in Russland und Pakistan.

Soweit sind die Zusammenhänge klar. Zumindest scheint es auf den ersten Blick so. Denn im Grunde, so Hoffmann, müsste man es anders ausdrücken. Die ganz korrekte Sprechweise hieße eigentlich: "Die Erwärmung der Arktis macht extreme Wetterlagen wahrscheinlicher."

Überflutete Landschaften in Pakistan

NADEEM KHAWER / EPA / picturedesk.com

Die Provinz Sindh, Pakistan, im Dezember 2010

Das mag spitzfindig klingen, weist aber auf ein grundsätzliches Problem hin. Ursachen treten in der Atmosphäre niemals im Alleingang auf. Und die Auswirkungen des Klimawandels sind nicht so leicht festzumachen, wie man das gerne hätte.

Die Temperatur der Luft und der Weltmeere steigt, der Klimawandel ist da und er ist messbar. Doch sein Einfluss auf kleinräumige Ereignisse - das, was wir "Wetter" nennen - lässt sich nicht so ohne weiteres herauspräparieren.

"Ein Indizienprozess"

Ein anderes Beispiel: Der Sommer 2015 sorgte für neue Einträge in den Rekordbüchern. Noch nie gab es hierzulande so viele Tage mit Temperaturen über 30 oder 35 Grad. Andererseits hat man in Österreich auch früher ausgesprochen heiße Sommer erlebt. 1928 war so ein Jahr, 1992 ebenso. Wie kann man herausfinden, ob der Klimawandel für die Hitzewellen zwischen Juni und August verantwortlich war?

Die Suche nach der Antwort "gleicht einem Indizienprozess", sagt Michael Hofstätter von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien: "Wir versuchen das Klimasignal im Hintergrundrauschen zu finden." Mit "Rauschen" meint der Wiener Forscher die natürlichen Wetterkapriolen. Denn verrückt hat das Wetter auch schon gespielt, als es das Wort "Klimawandel" noch gar nicht gab.

Suche nach dem Klimasignal

Bei der Suche nach dem Klimasignal gibt es zwei Strategien. Nummer eins: Man untersucht möglichst lange Zeiträume, in denen Wetterdaten aufgezeichnet wurden, und versucht daraus Trends abzuleiten.

Solche Trends wurden auch schon festgestellt. Im vergleichsweise kühlen Potsdam waren Tage mit 35 Grad in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Seltenheit. Sie traten im Schnitt nur alle fünf Jahre auf. In den letzten 50 Jahren musste man in Potsdam hingegen nur mehr zwei Jahre warten, bis es wieder einmal so heiß war.

Sind die Messdaten lückenhaft, greifen Forscher zur zweiten Strategie: Um herauszufinden, ob Hitzewellen, Stürme und Hochwasser durch den menschengemachten Klimawandel häufiger werden, füttern sie den Computer mit historischen Klimadaten. Zumeist mit jenen aus der Zeit vor der industriellen Revolution, als es noch weniger Treibhausgase in der Atmosphäre gab.

Sinnvolle Frage?

Vergleiche mit dem Jahr 1860 zeigen denn auch: Ja, die höheren Temperaturen der Gegenwart machen extremes Wetter in vielen Szenarien wahrscheinlicher. Viel konkreter werden die Klimaforscher allerdings nicht.

Das liegt zum einen daran, dass die Klimamodelle noch nicht genug ausgereift sind, sagt Michael Hofstätter. "Ob die Modelle die Wetterereignisse nicht nur darstellen, sondern aufgrund der richtigen Ursachen darstellen, wissen wir nicht - noch nicht."

Und das liegt zum anderen an der Fragestellung selbst. "Ist der Klimawandel schuld am Hitzesommer 2015?" - Die Frage scheint simpel. Sofern man ein klares Ja oder Nein als Antwort erwartet, ist sie allerdings kein sinnvoller Satz, stellte Andrew Solow kürzlich im Fachblatt "Science" fest.

Anleihen bei der Krebsforschung

Solow verweist in diesem Zusammenhang auf die Medizin, wo man schon seit Langem mit ähnlichen Fragestellungen zu tun hat. "Löst Rauchen Lungenkrebs aus?" Ja, würde man spontan antworten. In Wahrheit ist es komplizierter. Auch Nichtraucher erkranken mitunter an Lungenkrebs, daher gilt: Rauchen erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Tumore entstehen.

So muss man sich auch den Zusammenhang zwischen Klima und Wetter vorstellen, schreibt Solow. Was wir als Antwort erwarten dürfen, sind Wahrscheinlichkeiten. Ob der Hitzesommer 2015 auch ohne Klimawandel aufgetreten wäre, wird sich wohl nie endgültig klären lassen.

Robert Czepel, science.ORF.at

Mehr zu diesem Thema: