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der syrische Philosoph Sadiq al-Azm

"Islamisten sind wie die RAF"

Der islamistische Terror wie aktuell in Paris hat viele Ursachen: Eine davon ist das Scheitern der arabischen Nationalisten in den 60er Jahren, meint der syrische Philosoph Sadiq al-Azm. An ihre Stelle traten religiöse Fundamentalisten. Sie erinnern Azm an die RAF und die Roten Brigaden der 70er Jahre.

Radikalismus 16.11.2015

Wegen seiner Religionskritik musste Azm Syrien verlassen und wurde mit einer Fatwa belegt. Sein Lieblingsphilosoph ist Immanuel Kant: Dessen Gedanke der "Hospitalität" sei in Zeiten der Flüchtlingsströme höchst aktuell: Gastfreundschaft war für Kant ein "Weltbürgerrecht", das allen Menschen zusteht, die in ihrer Heimat existenziell bedroht sind.

Vergangene Woche war Azm Gast am Institut für die Wissenschaften vom Menschen in Wien. science.ORF.at hat mit ihm gesprochen.

Leidenschaftlicher Kampf gegen westliche Werte

Biografie

Der 1934 geborene Sadiq al-Asm stammt aus einer wohl situierten Familie in Damaskus. Er studierte Philosophie in Beirut und an der renommierten Yale University. Sein Studium schloss er mit einer Dissertation über den französischen Philosophen Henri Bergson ab. Danach lehrte er an der der American University in Beirut, wo er 1969 entlassen wurde. Der Grund dafür war die Publikation seines Werks "Kritik des religiösen Denkens", in dem er die führende Rolle des Islams im öffentlichen Leben in den arabischen Staaten kritisierte und speziell den muslimischen Gelehrten vorwarf, den religiösen Glauben zu instrumentalisieren. Von 1977 bis zu seiner Emeritierung 1999 war er als Professor für moderne europäische Philosophie an der Universität Damaskus tätig und lehrte an verschiedenen Universitäten als Gastprofessor, darunter in Princeton, im deutschsprachigen Raum unter anderem in Berlin, Bonn, Hamburg, Lüneburg und Oldenburg. Azm war Fellow am Käte-Hamburger-Kolleg für Rechtskultur in Bonn und am Wissenschaftskolleg in Berlin.

Kritik an Edward Said

Sadiq al-Azm blieb seinem Ruf als engagierter, keinen Konflikt scheuender Intellektueller treu. So kritisierte er die Thesen des palästinensischen Theoretikers Edward Said zum westlichen Orientalismus. Er warf Said vor, seine Kritik am westlichen Konzept des Orientalismus einseitig entfaltet zu haben. Azm unterstützte als einer der wenigen arabischen Intellektuellen auch den britisch-indischen Autor Salman Rushdie, der wegen seines Romans "Satanische Verse" vom iranischen Ajatollah Chomeini mit der Fatwa belegt wurde.

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Debatte: Was tun im Kampf gegen Terror?

Pointiert ist Azms Stellungnahme zu den terroristischen Aktionen der islamistischen Fundamentalisten. Für ihn sind sie verzweifelte, am Rande des Wahnsinns agierende Milizen, die mit leidenschaftlicher Wut die abendländische Kultur bekämpfen.

Für die unterschiedlichen Formationen der islamistischen Fanatiker, die "Öl ins Feuer der lodernden religiösen Revolution" gießen" - so Azm gegenüber science.ORF.at - sind westliche Werte ein Ausdruck von Gottferne. Speziell Bildung und Wissenschaften stellen sie als dekadente Einrichtungen dar, die es zu zerstören gilt, wie es die Bezeichnung Boko Haram ("westliche Bildung ist Sünde") der islamistischen Fundamentalisten in Nigeria programmatisch ausdrückt.

Gründe für den islamistischen Terror

Für Asm ist der Fundamentalismus eine Folge des Versagens des arabischen Nationalismus, den er für diese Zuspitzung verantwortlich macht. Er ortet ein konkretes Datum, das damit zusammenhängt; nämlich den Juni 1967. Da erfolgte der sogenannte "Sechs-Tage-Krieg" zwischen Israel und einer Allianz von arabischen Staaten, die von Ägypten angeführt wurde.

Durch die katastrophale Niederlage der arabischen Staaten verschwand gleichsam über Nacht der Glaube an eine nationalistische, säkulare Zukunft. In diese Lücke stießen die Hardliner der religiösen fundamentalistischen Gruppierungen. "Ich habe Angst vor deren barbarischen Gräueltaten und den apokalyptischen Visionen", bekennt Azm.

IS, RAF und Rote Brigaden

Im weiteren Verlauf des Gesprächs mit science.ORF.at verwies Azm auf eine "Geistesverwandtschaft" der islamistischen Fundamentalisten mit den linksradikalen Gruppen, die sich nach den Studentenprotesten des Mai 68 formierten. Die Protagonisten beider ideologisch völlig unterschiedlichen Gruppierungen verbindet der tiefgehende Hass auf "das Schweinesystem" des Imperialismus, wie es im Handbuch der "Roten Armee Fraktion" bezeichnet wurde.

Dieser blindwütige Hass, der für eine rationale Argumentation nicht mehr zugänglich war/ist, führte zu den terroristischen Aktionen der RAF und der Roten Brigaden, denen Hans-Martin Schleyer und Aldo Moro zum Opfer fielen.

Die Schergen des "Islamischen Staats" gingen bei der Folterung und der barbarischen Enthauptung des früheren Chef-Archäologen der antiken syrischen Oasenstadt Palmyra Khaled al-Asaad noch brutaler vor.

Dass dabei auch Palmyra - das Zentrum der antiken Toleranz-Kultur zerstört wurde, dokumentiert das monomane Weltbild der Fanatiker.

Der syrische Philosoph Sadiq al-Azm am IWM

IWM

Sadiq al-Azm am IWM in Wien

Das Kalifat - "Lichtung des Seins"?

Eine bestimmte Verachtung der Moderne ortet Azm auch in der konservativen Kulturkritik des 20. Jahrhunderts; etwa von Oswald Spengler, Martin Heidegger oder des englischen Schriftstellers T.S. Eliot. Die Epoche der Moderne wurde - wie bei Heidegger - als die Sphäre des "Man", des Uneigentlichen bezeichnet, welche die Sicht auf "die Lichtung des Seins" verstellt.

Und eben diese "Lichtung des Seins" finden viele Jugendliche, die in den trostlosen Quartieren der Vorstädte aufgewachsen sind und kaum eine Perspektive haben, der sozialen Misere zu entrinnen, in der vermeintlichen Solidargesellschaft des Kalifats.

Gegen den religiösen Fundamentalismus

Ein probates Mittel gegen den religiösen Fundamentalismus findet Azm in den Schriften der europäischen Aufklärer, die eine tiefgehende Kritik der Religion und der Repräsentanten vornahmen. Immanuel Kant bezeichnete den religiösen Fanatismus als "Religionswahn" und Fetischdienst" und Voltaire prägte den bekannten Slogan "Ecrasez l´infame" - "Zerschlagt die Infamie der Amtskirche".

Dennoch blieb deren Kritik eher an der Oberfläche, meint Azm, für ihn seien Voltaire und Kant "moderate religiöse Kritiker". Er bevorzuge die radikale Religionskritik von Denis Diderot, Jean-Baptiste le Rond d’Alembert oder Jean Meslier.

In seinem Buch "Unbehagen in der Moderne. Aufklärung im Islam" bezeichnet der syrische Philosoph seinen ursprünglichen theoretischen Ansatz als Versuch, "die linke Position der Marxisten mit einer Religionskritik von radikal-aufklärerischem Zuschnitt" zu verbinden".

Kritik an den Vermittlungsagenten Gottes

Was Azm an den radikalen Aufklärern besonders faszinierte, war deren Kritik an den Priestern, die sich als Vermittlungsagenten der göttlichen Macht verstanden und die Durchsetzung göttlicher Gebote mit allen Mitteln betrieben. Mit äußerster Härte reglementierten sie das Leben des Menschen, wie es im Zeitalter der Inquisition im Christentum und im islamistischen Kalifat der Fall war/ist.

Die fundamentalistischen Religionen arbeiten mit Zuckerbrot und Peitsche; die Guten erwarten himmlische Freuden, die Bösen, also die Ungläubigen/Atheisten werden vertrieben, gefoltert oder ermordet.

Weltbürgerrecht Gastfreundschaft

Wie Millionen seiner Landsleute hat Azm die repressiven Methoden des Assad-Regimes selbst erlebt. Wegen seiner subversiven Tätigkeit als radikaler Religionskritiker, der aktiv den Arabischen Frühling unterstützte, musste er Syrien verlassen und lebt nunmehr in Deutschland.

Azm ist dankbar, dass er wie zahlreiche andere Emigranten, Gastfreundschaft in Anspruch nehmen kann, die Immanuel Kant - der Lieblingsphilosoph von Azm - in seiner Schrift "Zum ewigen Frieden" als das "Grundrecht der Hospitalität" bezeichnet hatte. Diese Gastfreundschaft stellte sich Kant nicht als eine subjektive, großzügige Geste vor, - sondern als ein "Weltbürgerrecht", das allen Menschen zusteht, die in ihrem Heimatland existenziell bedroht werden.

"Frieden durch Erschöpfung"

Es sei nun anzunehmen, so Azm, dass die Hospitalität, die in Deutschland als Form einer "Willkommenskultur" propagiert wird, angesichts der großen Zahl von Flüchtlingen eingeschränkt werde. Dazu komme das Gewaltpotenzial extremistischer nationaler Gruppen, das sich bereits in Brandanschlägen auf Wohnheime und Attacken auf Flüchtlinge manifestiere.

Hier zeichne sich ein ungeheures Konfliktpotenzial ab; noch dazu, weil kaum Hoffnung bestehe, dass sich die Lage in Syrien verbessere. Der syrische Philosoph vergleicht sie mit dem Dreißigjährigen Krieg in Europa und geht davon aus, dass die militärischen Auseinandersetzungen erst beendet werden, wenn eine allgemeine Erschöpfung der am Krieg Beteiligten eintritt.

"Es wird das nicht so sehr ein Friede der Tapferen sein", konstatiert Azm, "sondern ein Friede der Erschöpften".

Nikolaus Halmer, Ö1 Wissenschaft

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