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Gustaf Gründgens als Mephisto

NS-Kulturelite: Brillant, aber böse

Der Jurist Carl Schmitt, der Chirurg Ferdinand Sauerbruch, der Schauspieler Gustaf Gründgens und der Dirigent Wilhelm Furtwängler haben eines gemeinsam: Sie alle waren Aushängeschilder des Nationalsozialismus. Und das, obwohl sie sich – der eine mehr, der andere weniger – als "Abweichler" vom System betrachteten.

Zeitgeschichte 20.11.2015

Genau dies sei das beste Schmiermittel für die Diktatur gewesen, meint der Kulturwissenschaftler Helmut Lethen. Dem "brillanten Quartett" ging eine Tagung nach, die diese Woche am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien stattgefunden hat.

Mitglieder des preußischen Staatsrats

Schmitt, Sauerbruch, Gründgens und Furtwängler haben sich zwar nach allem, was man weiß, niemals als "Quartett" getroffen. Sie waren aber allesamt Mitglieder des sogenannten Staatsrats – ursprünglich die zweite Kammer im Staat Preußen. Die gesetzgeberischen Kompetenzen dieses Rats waren marginal. Aber nach der Entmachtung der sozialdemokratischen Regierung Preußens 1932 besetzte Göring den Staatsrat neu und machte ihn zu einer Art NS-Ehrenrat.

Porträtfoto des Kulturwissenschaftlers Helmut Lethen

Marcus Werres

Helmut Lethen ist Professor em. für Neuere deutsche Literatur und Direktor des Internationalen Forschungszentrums Kulturwissenschaften in Wien. Davor war er Professor an der Universität Rostock.

Die Konferenz

"Das brillante Quartett des Preußischen Staatsrats" findet vom 18. bis 20. November im Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften statt.

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Ö1 Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag im Dimensionen Magazin, 20.11., 19:05 Uhr.

Bei seiner Neugründung im September 1933 bestand er dementsprechend aus einer Reihe von SA- und SS-Größen – und aus Teilen der wirtschaftlichen und kulturellen Elite Deutschlands. "Darunter auch die vier, die ich 'brillantes Quartett' nenne", erzählt Helmut Lethen.

Das Spektrum ihrer NS-Involviertheit ist breit. Auf der einen Seite steht Carl Schmitt, der "Kronjurist des Dritten Reichs", der sich auch nach 1945 nicht von dem Regime distanzierte und sich weiter des Staatsrat-Titels rühmte. In der Mitte stehen Gründgens und Furtwängler. "Der Dirigent hat am meisten Klinken geputzt bei Goebels. Etwa um von Karajan befreit zu werden, dem Lieblingsdirigenten von Hitler." Gründgens hat dank Klaus Manns Roman "Mephisto" bis heute die schlechteste Reputation. "Dabei war das ein unscheinbarer Kerl. Er konnte aber virtuos in die Masken des Bösen schlüpfen. Man weiß nicht so recht, wer der echte Gründgens war."

Und schließlich ist da noch der "etwas tollpatschige Sauerbruch. Nachdem er von einer Reise zurückgekommen war, wurde ihm eröffnet, dass er nun Staatsrat sei. Er war damit einverstanden – unter der Bedingung, selbst nicht Mitglied der NSDAP werden zu müssen. Das wurde akzeptiert. Später hat er sein Haus – wissentlich oder nicht - Widerstandskämpfern als Versammlungsort zur Verfügung gestellt."

Schutzamulett und Reklameinstrument

Das Quartett ist eine Idee von Helmut Lethen: "Die persönlichen Kontakte der vier waren gering. Furtwängler brauchte einmal ein Attest, weil er nicht bei einer Parteiveranstaltung auftreten wollte, und holte sich das von Sauerbruch. Carl Schmitt besuchte einmal ein Konzert von Furtwängler, der 'Elektra' dirigiert hat. Das war es aber auch schon."

Weit wichtiger als die Institution war der Titel "Staatsrat", meint Helmut Lethen. Und das in doppelter Weise. Wer den Titel trug, war ein "ausgezeichnetes" Mitglied der NS-Elite. Und das konnte auch persönlichen Schutz bedeuten, wie im Fall von Gründgens. "Der Schauspieler hat sich offen zu seiner Homosexualität bekannt und war Angriffen durch den 'Völkischen Beobachter' und die SS ausgesetzt. Der Titel des 'Staatsrats', den ihm Göring verliehen hat, wirkte dagegen wie ein Schutzamulett."

Zum anderen sei der Titel ein ideales Reklameinstrument für den NS-Staat gewesen. "Das Motto dahinter: Seht her, der deutsche Geist ist nicht emigriert, wir haben die Elite der deutschen Kultur auf unserer Seite: der berühmteste Schauspieler der Zeit, der große Staatsrechtler, der Virtuose der künstlichen Hand und der Dirigent, der mit Toscanini verglichen wurde. Vier brillante Köpfe, die auf ihrem Feld virtuos waren."

Brillant mit kleinen ideologischen Abweichungen

Sie verbindet laut Lethen aber nicht nur ihre fachliche Brillanz, sondern auch der Umstand, dass sie alle nicht 100-prozentig auf Linie des NS-Staats waren. "Jeder hatte seine kleine ideologische Abweichung", sagt Lethen.

"Und genau deshalb hat das System funktioniert. Das ist der Witz einer Diktatur: Es braucht die Abweichung um funktionieren zu können. Die Akteure müssen die Illusion haben, einen persönlichen Spielraum zu haben, in dem sie aufgrund eigener Ermächtigung funktionieren. Das hält sie aktiv. Wenn sie wüssten, dass sie bloße Apparatschiks sind, würde das nicht funktionieren."

Selbst bei Carl Schmitt, der am meisten in das NS-Regime verstrickt war, gab es diese Abweichungen, meint Lethen. "Er hat entdeckt, dass seine Idee, dem NS-Staat eine Verfassung zu geben, zum Scheitern verurteilt war, weil es sich um einen Parteienstaat gehandelt hat. Andere NS-Juristen attackierten seine Staatsvorstellungen heftig. Er verlor seine Stelle als ihr Vorsitzender, blieb aber Staatsrat und schrieb weiter Bücher."

Ein Motor des Bösen

Von Sauberbruch wurden keine politischen Statements erwartet. Es reichte, dass er ein Chirurg der Weltklasse war. "Er brillierte wie die anderen drei in seinem Spezialgebiet und wusste nicht, dass er gerade dadurch seine objektive Funktion für den NS-Staat erfüllte." Worin nun der widerständige Akt des Chirurgen bestand?

"Das war kein willentlicher", antwortet Lethen. Sauerbruch hatte einen relativ autoritären und chaotischen Charakter, den es nicht kümmerte, dass Widerstandskämpfer sein Haus benutzten, und der das gar nicht durchschaute. Sein Dissens bestand quasi in dem Grad an Dummheit, in dem er sich wiegen konnte, weil er andererseits so ein brillanter Fachmann auf dem Gebiet der Chirurgie war."

Eine Folge der Tagung in Wien könnte ein Buch sein, das Lethen für die nächsten Jahre plant. Es geht ihm dabei nicht um den "moralischen Skandal" der Kollaboration. "Ich will die vier nicht in ihren Schurkentaten zeigen, sondern in ihrer intellektuellen Brillanz. Alle vier sind auf ihrem Spezialgebiet virtuos, dennoch unfähig zu sozialer Empathie." Ihre Intellektualität hat sie nicht vor der Kollaboration geschützt. Im Gegenteil: "Sie kann auch ein Motor des Bösen sein."

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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