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Die Alpen bei Fönwetter

Wie sich der Alpenraum verändert

2015 wird aller Voraussicht nach das wärmste Jahr seit Messbeginn. Ein Ende des Temperaturanstiegs ist nicht in Sicht. Im Alpenraum sind die Folgen schon jetzt spürbar - Messungen zu Schwermetallen zeigen: Es gibt eine Wechselwirkung mit der globalen Erwärmung.

Klimawandel 01.12.2015

Die Zeiten haben sich geändert: Einst setzte sich die internationale Staatengemeinschaft im Kampf gegen die globale Erwärmung noch verbindliche Zielwerte für die Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen ("Kyoto-Protokoll").

Mittlerweile steckt sich die Staatengemeinschaft lieber Höchstgrenzen in punkto Temperaturanstieg – und muss diese Grenzen ferner nach oben korrigieren. So sind die 194 Mitgliedstaaten der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen noch im Jahr 2010 von einer Erwärmung von höchstens 2 Grad ausgegangen.

Aktuell ist ein Temperaturanstieg von 2,7 Grad Celsius bis zum Jahr 2100 prognostiziert, gemessen im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter.

Links

Klimakonferenz Paris

Anlässlich der Weltklimakonferenz (COP21) von 30. November bis 11. Dezember in Paris berichtet der ORF in Radio, TV und Internet über Klimapolitik und den aktuellen Stand der Klimaforschung.

Sendungshinweise

Universum zeigt die preisgekrönte Dokumentation "5 Grad plus"; 1.12., 20.15 Uhr in ORF2.

Über die Veränderung des Alpenraums berichtet heute auch "Wissen aktuell", 1.12., 13.55 Uhr.

Debatte: Gegen Klimawandel: Was kann der Einzelne tun?

Arten beginnen zu wandern

Eine derartige Erwärmung hätte weitreichende Auswirkungen. Wie sich das Erscheinungsbild des Alpenraums verändern würde, skizziert der Biologe Günter Köck, Research Associate am Institut für Interdisziplinäre Hochgebirgsforschung in Innsbruck:

"Die Waldgrenze wird höher wandern, durchaus um einige hundert Meter, die Zusammensetzung der Wälder wird sich verändern. Es werden Pflanzen zuwandern, Pflanzen, die eigentlich im Mittelmeerraum vorkommen und nun auch im Alpenraum problemlos überleben können. Und es wird zu einer Zunahme der Seen im Alpenraum kommen: Zum einen Gletscherseen, die durch das Abschmelzen entstehen, zum anderen noch mehr künstliche Seen im Gebirge, um in Zukunft unsere Pisten zu beschneien zu können."

Günter Köck untersucht einen Fisch aus einem See

High-Arctic Team

Günter Köck bei der Arbeit

Parallelen zwischen Arktis und Alpen

Köck beschäftigt sich seit Jahren mit dem Nachweis von Schwermetallen und Schadstoffen in Seessaiblingen aus Hochgebirgsseen und arktischen Seen. Als Teil einer Forschungsgruppe untersucht er, wie und in welchem Umfang etwa Quecksilber in Gewässer gelangt.

"Das Abschmelzen von Gletschern und Permafrost führt dazu, dass Schwermetalle, die teilweise über Jahrhunderte und sogar Jahrtausende im Permafrost und im Gletscher gespeichert waren, mit dem Wasser freigesetzt werden", sagt Köck.

Schon seit 1997 ist er Teil einer österreichisch-kanadischen Forschungskooperation ("High-Arctic"). Weil das Ökosystem der Arktis jenem des Alpenraums sehr ähnlich ist, lassen sich die Ergebnisse, die Köck und seine Kollegen in Kanada machen, auf Hochgebirgsseen in den Alpen übertragen.

Prognostizierte Frosttage in Österreich

Bei der interaktiven Karte handelt es sich um ein Worst-Case-Szenario - das nur eintritt, wenn Treibhausgase in Zukunft ungebremst in die Atmosphäre gelangen: Die durchschnittlichen Temperaturen würden dabei in Österreich bis 2100 um sieben Grad steigen - und die Anzahl der Frosttage entsprechend sinken.

Nickel aus Permafrost

Ebendort, konkret in zwei Tiroler Bergseen, brachten Messungen der Quecksilber-Konzentration zeitweilig erhöhte Werte. Köcks Vermutung für den Anstieg: Ausgelöst durch die steigenden Temperaturen, die zu einer längeren eisfreien Zeit und mehr Feuchtgebieten führen, wandeln Bakterien verstärkt das weniger gefährliche anorganische Quecksilber in viel gefährlicheres organisches Quecksilber um, das sich wiederum in der Nahrungskette anreichert.

Einige Kollegen Köcks vom Institut für Ökologie an der Universität Innsbruck konnten darüber hinaus eine erhöhte Konzentration von Metallen wie Nickel in Tiroler Bergseen nachweisen. Die Ursache für den Anstieg der Metall-Konzentration – jenseits der in Österreich zulässigen Trinkwasser-Grenzwerte – fand der Wissenschaftler Hansjörg Thies im Abschmelzen des Permafrosts.

Die Ergebnisse eines Forschungsprojekts der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ("Melting") der Wissenschaftler Karin Koinig und Boris Ilyashuk zeigen zudem, dass die erhöhte Metallkonzentration bei Kieselalgen und Zuckmückenlarven zu Deformationen führt. Dies sei eine direkte Auswirkung des veränderten Klimas auf Lebewesen.

"5 Grad plus"

Die österreichische Dokumentation "5 Grad plus" von Regisseurin Waltraud Paschinger aus der TV-Serie Universum hatte unter anderem auch Köcks Forschungsaktivitäten im Jahr 2009 und 2010 zum Inhalt. Paschingers Film beschreibt, wie sich der Alpenraum verändern würde – vorausgesetzt, die Temperatur würde ebendort sogar um fünf Grad ansteigen.

Paschinger erinnert sich an die damaligen Filmaufnahmen: "Beeindruckt hat mich vor allem der Dreh auf der Pasterze. Die Landschaft dort oben hat sich innerhalb von drei Jahrzehnten völlig verändert."

Blüten auf steinigem Grund, im Hintergrund ein Gletscher

High-Arctic Team

Ein Steinbrechgewächs erobert neuen Lebensraum

Für "5 Grad plus" drehte Paschinger in der Schweiz und in Österreich, in Erinnerung geblieben sind der Filmemacherin bis heute auch die positiven Folgen des Wandels: "Mich hat damals fasziniert, wie unglaublich rasch und mit welcher Kraft die Vegetation die neuerdings eisfreien Flächen wieder erobert hat. Überall wachsen jetzt Blumen und Gräser, teilweise zwischen den nackten Steinen, wo es früher nur Eis und Fels gegeben hat."

Welt im Wandel

Die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) geht mittlerweile davon aus, dass das Jahr 2015 das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen wird. Laut Experteneinschätzung werde die Durchschnittstemperatur heuer wohl erstmals ein Grad höher sein als im vorindustriellen Zeitalter Ende des 19. Jahrhunderts.

Auf die Folgen der Erwärmung werden Mensch, Tier und Pflanze unterschiedlich reagieren können. "Die Verwüstung wird in Gebieten wie der Sahelzone in Afrika voranschreiten", sagt Köck. Regisseurin Paschinger sieht den Menschen in punkto Anpassungsfähigkeit im Nachteil. "Dem Menschen wird der Klimawandel Probleme durch Landschaftsverluste bringen. Es wird enger werden, auf dieser Welt."

Gregor Stuhlpfarrer, Universum

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