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zwei Männer schütteln sich die Hand, dahinter eine UNO-Fahne

Kann ein Klimavertrag überhaupt funktionieren?

Während in Paris der Entwurf für einen bindenden globalen Klimavertrag auf dem Tisch liegt, stellt sich die Frage: Kann dieser überhaupt funktionieren? Können Treibhausgase tatsächlich so stark verringert werden wie nötig? Und das in einem Wirtschaftssystem, das ständig wachsen muss?

Ökonomie 11.12.2015

Die kanadische Journalistin Naomi Klein beantwortete das in ihrem heuer auf Deutsch erschienenen Buch "Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima" klar mit einem Nein. Sie zieht damit aber nicht den pessimistischen Schluss, dass die weitere Klimaerwärmung unaufhaltsam sei. Um diese zu vermeiden, brauche es aber einen radikalen Wandel des Kapitalismus und seiner Institutionen, inklusive einer großangelegten Umverteilung von Reichtum und Macht.

Sigrid Stagl sieht das ähnlich, wenn auch nicht ganz so radikal. Die Leiterin des Instituts für Ökologische Ökonomie der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien versucht zu beantworten, wie das Klima noch zu retten ist - und auch der Kapitalismus.

science.ORF.at: Naomi Klein vergleicht die Frage der Klimapolitik mit der Abschaffung der Sklaverei. Ist das zu drastisch?

ORF-Schwerpunkt

Anlässlich der Weltklimakonferenz (COP21) von 30. November bis 11. Dezember in Paris berichtet der ORF in Radio und TV sowie online über Klimapolitik und den aktuellen Stand der Klimaforschung.

Buchhinweis

Naomi Klein: Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima, Verlag S. Fischer

Stagl: Moralisch sind das natürlich zwei verschiedene Dinge. Das Verbrennen von Erdöl ist moralisch nicht schlecht, Freiheitsberaubung schon. Aber es gibt Parallelen. Sklaven wie auch fossile Energieträger waren bzw. sind sehr wichtige Ressourcen für die Produktion. So wie sich viele nicht vorstellen konnten, ohne Sklaven zu produzieren, ist es heute bei den fossilen Energieträgern. Wenn man so will, sind sie unsere heutigen Energiesklaven: Sie liefern die Energie, die wir für unseren Lebensstil brauchen.

Von der Abschaffung der Sklaverei kann man lernen, wie man ohne eine Ressource auskommt, die man für unersetzlich hielt. Und auch, wie man eine Übergangszeit organisiert. Sie ist keine Win-win-Situation und kann auch nicht der Steigerung der Effizienz dienen, so wichtig die ist. Brüche in der Produktion wird man durch diese Strategien nicht finden können, sondern es geht um ein konstruktives Herangehen an fundamentale gesellschaftliche Konflikte.

science.ORF.at: Auch die Klimafrage hat einen moralischen Aspekt: Laut Stephen Pacala von der Universität Princeton sind die reichsten 500 Millionen Menschen für die Hälfte aller Emissionen verantwortlich.

Stagl: Das Thema Gerechtigkeit ist bei der Klimaerwärmung zentral. Man kennt nicht nur die Anzahl, sondern auch die Eigenschaften der hauptverantwortlichen Personen: Sie leben hauptsächlich im globalen Norden. Jene, die unter dem Klimawandel leiden, leben wiederum im globalen Süden oder um den Äquator. Ihre Lebensgrundlagen werden durch die extremer werdenden Wetterbedingungen immer schwieriger.

science.ORF.at: Es braucht also eine Umverteilung?

Stagl: Ja, und zwar auf mehreren Ebenen. Zum einen, was die Klimagase betrifft: Jene Länder aus dem industrialisierten Norden, die schon viel ausgestoßen haben, übernutzen die Kapazitäten der Atmosphäre. Ihre Emissionen sollte man daher zurückschrauben. Zum anderen ist eine Umverteilung von Einkommen und Vermögen nötig. Umwelt- und Klimapolitik alleine sind zu eng, um den Klimawandel zu verhindern. Es ist mehr Gerechtigkeit nötig.

science.ORF.at: Stehen dem nicht wesentliche Merkmale der globalen Wirtschaft entgegen, etwa der Freihandel?

Stagl: Internationale Handelsverträge genießen heute hohe Priorität. Historisch ist das begreiflich. Man wollte, dass Menschen sich wirtschaftlich mehr austauschen, denn wer mehr handelt, führt weniger Kriege. Das hatte also eine politische Dimension und kann unter bestimmten Umständen auch zu mehr Reichtum beider Handelspartner führen. Insofern ist es nachvollziehbar, dass man sich für Freihandel entschieden hat. Voraussetzung war aber, dass die beiden Akteure eher arm und auch Transportemissionen nicht sehr bedeutend sind.

Jetzt haben sich die Probleme verändert. Ein Teil der Weltbevölkerung ist recht reich, und mehr Reichtum steigert das Wohlbefinden nicht mehr signifikant. Er trägt aber dazu bei, dass wir jenseits der biophysischen Grenzen handeln. Deshalb muss man darüber nachdenken, ob die internationalen Handelsverträge noch für die heutigen Problemlagen geeignet sind.

science.ORF.at: Man weiß wenig über die konkreten Inhalte von Handelsabkommen wie TTIP, die gerade verhandelt werden. Es ist aber nicht zu erwarten, dass Gerechtigkeit und Klimawandel einen hohen Stellenwert haben. Müsste ein möglicher Vertrag von Paris juristisch nicht oberhalb von TTIP und Co. stehen?

Stagl: Ja, genau. Umwelt- und Sozialregulierungen stellen sicher, dass Märkte gesellschaftlich erwünschte Ergebnisse liefern. Ansonsten stehen die Gewinnziele der Investoren im Vordergrund. Das wäre okay, wenn Trickle-down-Economics für alle Bevölkerungsteile funktionieren würde und "grünes Wachstum" zu niedrigerem Umweltverbrauch führte. Tun sie aber nicht. Deregulierung nützt einem sehr kleinen Teil der ökonomischen Akteure. Unter TTIP sollen Umwelt- und Konsumentenschutzstandards angeglichen und aus europäischer Sicht wohl aufgeweicht werden. TTIP setzt also den Trend zur Deregulierung fort und ist daher kontraproduktiv.

Generell gilt: Wirtschaft kann nur funktionieren, wenn die Natur intakt ist und wir nicht jenseits der biophysischen Grenzen agieren. Insofern muss man bei allen wirtschaftlichen Entscheidungen die Umwelt mitdenken. Die bestehenden Institutionen halten die wirtschaftlichen Akteure aber nicht an, innerhalb der biophysischen Grenzen zu bleiben. Deshalb können wir uns nicht auf diese Institutionen verlassen, sondern müssen nachdenken, welche wir brauchen.

'Business as usual' weiterzutreiben funktioniert nicht mehr. Das sage nicht nur ich, sondern unter anderen auch Ban Ki Moon, Obama und der Papst. Die Frage ist, wie man zu einer zukunftsfähigen Wirtschaftsweise kommt - mit den aktuellen Regeln, Institutionen, Verträgen und Verhaltensweisen, die uns in eine ganz andere Richtung drängen.

science.ORF.at: Haben Sie eine Antwort? Naomi Klein sagt, wir müssen uns entscheiden: Entweder wir retten das Klima oder den Kapitalismus, aber wir können nicht beides.

Stagl: Man muss definieren, was Kapitalismus ist. Wenn damit Kapitalakkumulation gemeint ist, also das Investieren für einen wirtschaftlichen Vorteil, dann ist das per se nichts Schlechtes. Die Frage ist aber, welche Ziele man hat. Wenn die Antwort ausschließlich Profit oder Einkommen lautet, dann ist das zu eng gefasst.

Die Frage ist auch, worin man investiert. Etwa in Ökosysteme, damit sie sich regenerieren können? Oder ausschließlich in Patente, Lizenzen, Maschinen und Ähnliches, um kurzfristige Gewinne für Investoren zu erzielen? Kapitalismus ist in unterschiedlichen Ausprägungen vorstellbar. Momentan dominiert eine kurzfristige Logik, die Eigentümer bevorzugt und den gesellschaftlichen Nutzen vernachlässigt. Man kann sich aber auch andere Varianten vorstellen.

science.ORF.at: Welche Mittel der Regulation würde es dazu brauchen?

Stagl: Das Steuersystem etwa, das aktuell stark am Produktionsfaktor Arbeit ansetzt, sollte dies stärker an Natur, Emissionen und Ressourcen tun. Klug und effizient wäre eine Input-Steuer, die auf den Kohlenstoffgehalt der Produktion abstellt. Perverse Subventionen - öffentliche Förderungen, die der Umwelt schaden - sollen abgeschafft werden. Außerdem wäre progressivere Einkommens- und Vermögensbesteuerung hilfreich für die nötige sozialökologische Transformation.

Generell sollte der Erfolg von wirtschaftlichem Handeln nicht nur am Bruttoinlandsprodukt orientiert sein. Es herrscht aber die Denke vor, dass sich mit Wirtschaftswachstum auch andere Ziele erreichen lassen - wie etwa eine geringe Arbeitslosigkeit, Lebensqualität, faire Verteilung, außenwirtschaftliches Gleichgewicht, intakte Umwelt etc. Das stimmt aber nicht automatisch und schon gar nicht für alle Bevölkerungsgruppen.

science.ORF.at: Warum sollte sich ein einzelner Unternehmer um Umwelt und Klima kümmern? Sein Ziel muss es sein, Profit zu machen.

Stagl: Freilich müssen Unternehmen wirtschaftlich überleben können. Aber in der wirtschaftlichen Realität beobachten wir unterschiedliche Erfolgsstrategien. Wir haben am Institut Personen interviewt, die deshalb unternehmerisch tätig sind, weil sie sich für Nachhaltigkeit einsetzen wollten. Viele haben ihre Nischen gefunden, in denen sie ihre Dienste oder Produkte anbieten können. Und auch viele große Unternehmen arbeiten daran, ihr Kerngeschäft umweltfreundlich zu gestalten; wenn die Eigentümerstruktur eine längerfristige Orientierung unterstützt, können Unternehmen signifikante Beiträge zum Klimaschutz leisten.

science.ORF.at: Die großen Rahmenbedingungen - etwa die Sparpolitik - erschweren die Klimapolitik. Stehen sie einer nachhaltigen Klimapolitik nicht fundamental entgegen?

Stagl: Absolut. Rahmenbedingungen sind sehr wichtig, wenn man etwa entscheiden muss: Fahre ich mit dem Zug nach Barcelona oder nehme ich den 39-Euro-Flug? Aus Umweltsicht ist das höchst unerquicklich. Alle Kosten, die der Gesellschaft anfallen, sollten jenen verrechnet werden, die sie verursachen. Das passiert derzeit nicht, weil deutlich mehr Emissionen durch einen Sitz im Flugzeug als durch einen im Zug verursacht werden. Das führt zu Verzerrungen und langfristig zu Kosten für andere.

science.ORF.at: Man gewinnt aber keine Wahlen damit, wenn man Fliegen teurer macht als Bahn fahren.

Stagl: Das ist klar. Klimafreundliches Wirtschaften und Leben muss attraktiv sein. Deshalb ist Umverteilung so wichtig. Wenn Bürger und Bürgerinnen merken, dass sie Entscheidungsträger haben, die sich ihrer Verantwortung stellen und danach handeln - vielleicht wären sie überrascht, dass sie dann doch wieder gewählt werden, obwohl sie etwas tun, was kurzfristig unpopulär ist.

science.ORF.at: Naomi Klein sagt auch, dass es keine Änderung in der Klimapolitik geben wird ohne eine starke soziale Bewegung, die das unterstützt.

Stagl: Das sehe ich auch so. Es braucht Protest, damit Veränderung passiert. Das war in der Geschichte immer so, bei der Abschaffung der Sklaverei, und das gilt auch heute.

Das Gespräch führte Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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