Vor allem in Hannover wird Leibniz 2016 mit einer Reihe von Veranstaltungen gefeiert, denn hier wirkte er 40 Jahre lang als Hofrat und Bibliothekar des Welfenherzogs. Die Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek verwahrt den Nachlass des Denkers. Seine Handschriften - sagenhafte 200.000 Seiten - lagern in einer klimatisierten Schatzkammer hinter dicken Tresortüren.
"Er ist morgens schreibend aufgewacht und abends schreibend eingeschlafen", sagt der Leiter des Leibniz-Archivs, Michael Kempe, über das Universalgenie. Bereits seit 1923 arbeiten Wissenschaftler in Hannover, Potsdam, Münster und Berlin an einer Gesamtedition der Schriften, voraussichtlich dauert das bis 2055.
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Vater des binären Codes
Der Historiker präsentiert vorsichtig in weißen Handschuhen ein paar Blätter mit Notizen und mathematischen Formeln. Als Mathematiker war Leibniz seiner Zeit weit voraus. Er entwickelte unter anderem den binären Code, ohne den es heute keine Computer gäbe. Sein Gedanke, dass Raum nichts Absolutes ist, habe bereits auf die Relativitätstheorie verwiesen, sagt Kempe.
Leibniz notierte seine Ideen spontan und zerschnitt Blätter zu verschiedenen Themen. Zurzeit wird das Mammutwerk "Mathematica", das aus über 7.000 Schnipseln besteht, mit modernster Computertechnik wieder zusammengesetzt. Dabei hilft das Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK), das in der Vergangenheit bereits zerrissene Stasi-Akten und verkohlte handschriftliche Noten Wolfgang Amadeus Mozarts rekonstruierte.
Briefwechsel mit Newton und Spinoza
Der Gelehrte war bis zu seinem Tod ein geradezu manischer Briefeschreiber. Sein Briefwechsel mit 1.300 Korrespondenten - darunter Isaac Newton, der Philosoph Spinoza und Jesuitenpater in China - wurde vor acht Jahren ins UNESCO-Weltdokumentenerbe aufgenommen. Mittlerweile sind viele Briefe im Internet einsehbar. Leibniz zeigte sich als wacher Beobachter der europäischen Politik, er bemühte sich um die Wiedervereinigung der Kirchen und diskutierte über seine Forschung.

Associated Press - Kai-Uwe Knoth
Mit seinem weltumspannenden sozialen Netzwerk gingen auch Plagiatsvorwürfe einher. Newton hetzte gegen ihn und warf ihm vor, bei der Differenzialrechnung von ihm abgekupfert zu haben.
"Es ist paradox. Je mehr wir über Leibniz wissen, desto schwieriger wird es, diese Person zu fassen", sagt Kempe, der mit seinem Team eine große Ausstellung mit dem Titel "1716 - Leibniz’ letztes Lebensjahr" vorbereitet. Die Eröffnung der Schau mit teils noch nie gezeigten Objekten ist für den 21. Juni geplant. Unter anderem sollen Fossilien, Druckvorlagen und Kupferstiche aus Leibniz’ Sammlung gezeigt werden.
"Leben der Menschen praktisch verbessern"
Der Erfinder beschäftigte sich mit der Lösung einer Reihe von Problemen im Oberharzer Bergbau und konstruierte zum Beispiel Windmühlen zum Antrieb von Pumpen. Dabei war er selbst in den Höhlen der Bergbauregion unterwegs. "Der Gelehrte des 18. Jahrhunderts musste auch einen Hang zum Abenteuer haben", sagt Kempe. Leibniz reichte es nicht, in seinem Studierzimmer zu hocken, er reiste in ganz Europa, wollte auf die Mächtigen Einfluss nehmen und das Leben der Menschen praktisch verbessern, etwa indem er eine vorsorgende Medizin forderte.
Während eines Aufenthaltes in Wien in den Jahren 1712 bis 1714 legte Leibniz dem österreichischen Kaiser Karl VI. einen Plan für eine "Sozietät der Wissenschaften" vor. Das war ein zentraler Anstoß für die Gründung der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften im Jahr 1847, der Vorläuferin der heutigen Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).
Auf Entwürfe und Überlegungen des Gelehrten geht die Gründung von drei weiteren Wissenschaftsakademien in Berlin, Leipzig und St. Petersburg zurück. Zum 300. Todestag des Denkers erkunden deshalb Vertreter dieser vier Akademien beim Symposium "Leibniz heute lesen: Wissenschaft, Geschichte, Religion" von 3. bis 4. November in Wien das geistige Erbe des Philosophen.
science.ORF.at/APA/dpa
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