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Eine Word-Cloud mit dem Wort "Public Relations" ganz fett und groß, rechts ganz klein steht "Media"

Wissenschaft in der PR-Falle

Vor 15 Jahren, am 15. Jänner 2001, ist science.ORF.at online gegangen. Anlass zur Selbstreflexion: Was hat sich seither in der Kommunikation von Wissenschaft geändert? Es gibt weniger Menschen, die im Journalismus arbeiten und mehr in der PR. Die Bereiche vermischen sich, und das ist schlecht – nicht zuletzt für die Wissenschaft.

Selbstreflexion 15.01.2016

Im schlimmsten Fall orientiert sie sich an der Logik der Medien und "belohnt" öffentlichkeitswirksame Forschungsergebnisse, sagt der Journalismusforscher Holger Wormer im Interview.

science.ORF.at: Wie hat sich die Wissenschaftskommunikation in den vergangenen 15 Jahren entwickelt?

Holger Wormer: Anfang 2000 befand sich der Wissenschaftsjournalismus – ich betone den Journalismus – in einer Hoch-Zeit. Er war gefragt als Organisator von Debatten, etwa zur Bioethik. Wir standen unter dem Eindruck vom Klonschaf Dolly, dem Humangenomprojekt, der Stammzelldebatte. Die Redaktionen wurden damals ausgebaut. Chefredakteure erkannten, dass aus den Wissenschaftsressorts viele Themen kommen, die auch politisch relevant sind. Und auch das Publikum fand sie interessanter als Berichte über irgendeinen Parteitag.

Porträtfoto des Journalismusforschers Holger Wormer

TU Dortmund

Holger Wormer ist Professor für Wissenschaftsjournalismus an der Technischen Universität Dortmund

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Ein Blick zurück: So sah die erste Homepage von science.ORF.at aus, ein Screenshot vom 15.1.2001

science.ORF.at

Ein Blick zurück: So sah die erste Homepage von science.ORF.at aus, ein Screenshot vom 15.1.2001

Sendungshinweise

Dem Thema widmen sich auch Beiträge in Wissen aktuell (15.1., 13:55 Uhr) und dem Dimensionen Magazin (15.1., 19:05 Uhr).

Und dann kamen die Anschläge vom 11. September. Sie haben von einem Tag auf den anderen den Fokus der Medien gedreht – natürlich zu Recht. Auch die FAZ, die damals unter Frank Schirrmacher eine Art Bio-Feuilleton gemacht hat, begann plötzlich über Terror, Islam etc. zu schreiben. Dann hatten wir die erste Medienkrise, in deren Folge Redaktionen verkleinert wurden. Zwischendurch ging es wieder bergauf, und dann haben wir die bisher letzte Phase: die Finanzierungskrise der Medien. Und wenn es dem Journalismus an sich nicht gut geht, dann geht es auch dem Wissenschaftsjournalismus nicht gut.

Die Wissenschaftsressorts waren schon vor der aktuellen Krise nicht die größten, sind sie stärker von ihr betroffen als andere?

Das Bild ist nicht einheitlich, es gibt auch Wissenschaftsredaktionen, die mehr geschont wurden als andere. Aber tendenziell stimmt es schon: Zumeist handelt es sich um kleine Ressorts, die leichter weggespart werden als Politik- oder Kulturressorts. Die Kultur ist ein klassisches Ressort und im Machtgefüge der Medienhäuser bis heute viel einflussreicher. Wenn ein Ressortleiter dort sagt "Bei mir wird nicht gespart", findet das eher Gehör als in der Wissenschaft.

Wird deswegen heute weniger über Wissenschaft berichtet?

Nein. Wir haben Erhebungen zu überregionalen Zeitungen in Deutschland gemacht: Zwischen 2003 und 2007 hat sich der Anteil der Wissenschaftsberichte mehr als verdoppelt – am meisten außerhalb der gekennzeichneten Seiten, also auf den Meinungsseiten, im Feuilleton oder auf den Titelblättern. Zuletzt ist der Umfang wieder auf das Niveau von 2003 zurückgefallen. Man muss das aber relativieren, denn die Umfänge der Zeitungen haben insgesamt abgenommen. D.h. der Anteil der Berichterstattung ist nicht gesunken, sondern auf relativ hohem Niveau geblieben. Ein gutes Beispiel, wie politisch relevant Wissenschaftsberichte sein können, ist die Wasserstoffbombe, die Nordkorea angeblich gezündet hat. Die Angaben lassen sich nur mit Hilfe von Wissenschaftlern überprüfen, die Daten der Seismografen interpretieren.

Wie hat sich das Verhältnis von Wissenschaftsjournalismus zur PR entwickelt? Als Journalist ist mein Eindruck: Es gibt immer weniger Kolleginnen und Kollegen, dafür immer mehr in der PR …

Der Eindruck täuscht nicht – auch jenseits der anekdotischen Beobachtung, dass man viele Kollegen kennt, die plötzlich in die PR wechseln, weil sie mit dem, was sie im Journalismus verdienen, keine Familie ernähren können, oder weil sie gekündigt wurden. Laut einer empirischen Erhebung aus Münster haben zwei Drittel der deutschen Universitäten in einem Zeitraum von fünf Jahren ihre Presseabteilungen ausgebaut.

Ist das ein Problem?

Nein. Das Problem ist, dass sich echte Wissenschaftskommunikation im Sinne von Information und Wissenschaftsmarketing fortschreitend vermischen. Denn während man im Journalismus versucht, Werbung und Anzeigen vom Inhaltlichen zu trennen, wird das an den Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen immer weniger getan. Wenn man sich ständig fragen muss, ob die Pressemitteilung einer Uni informieren will oder nur dazu dient, dem Drittmittelgeber oder der Politik mitzuteilen "Seht her, wie toll wir sind", dann hat man ein Glaubwürdigkeitsproblem. Viele Unis trennen Pressearbeit und Marketing nicht mehr, sondern haben ein Referat "Öffentlichkeitsarbeit" – und da kann alles drin sein vom Bedrucken eines T-Shirts bis zu seriöser Wissenschaftsinformation.

Warum ist PR an Unis und Forschungseinrichtungen so viel wichtiger geworden?

Weil sie explizit eingefordert wird. Selbst bei der deutschen Exzellenzinitiative war die Sichtbarkeit der öffentlichen Forschung ein erklärtes Ziel. In dem Moment, wo die Finanzierung von der öffentlichen Hand hin zu Drittmittelgebern aus Stiftungen oder Wirtschaft verlagert wird, wird die Außenwahrnehmung wichtiger. Dann zählt bei der Entscheidung, wohin das Geld fließt, doch die Frage, wie öffentlichkeitswirksam die Forschung ist. Je stärker sich die Wissenschaft an Kriterien orientiert, die nicht aus der Wissenschaft stammen, sondern aus Wirtschaft und Marketing, desto mehr wird die Außendarstellung über die seriöse Information gestellt.

Wie wirkt sich das auf Journalisten und Journalistinnen aus, denen immer mehr PR-Leute gegenüberstehen?

Sie müssen noch viel genauer hinschauen als früher. Sie können sich nicht darauf verlassen, dass das, was von einer Uni kommt, auch stimmt. Sie müssen jede Pressemitteilung so behandeln wie eine aus der Politik oder Wirtschaft. Und sie müssen sich die Original-Publikationen besorgen. In vielen Pressemitteilungen wird übertrieben – das ist nicht nur für Journalisten relevant, sondern auch für die breite Öffentlichkeit. Denn die Mitteilungen werden nicht mehr wie früher nur an die Redaktionen gefaxt, sondern sind im Internet für jedermann sichtbar. Da entsteht eine neue Verantwortung für die Wissenschaftskommunikation: Journalisten holen im besten Fall eine zweite Meinung ein, die Pressemitteilungen stehen aber so im Netz.

Wie wirkt diese Dynamik zurück auf die Wissenschaft?

Sie kann im Extremfall dazu führen, dass sich die Wissenschaft selbst an dieser Medienlogik orientiert. Man darf das zwar nicht dramatisieren, weil es nach wie vor viele Wissenschaftler gibt, die ihre Forschung ehrlich aus Erkenntnisinteresse betreiben. Aber die Gefahr ist gegeben, dass sie etwa durch die Hochschulleitungen unter Druck geraten und sich stärker an der Medienöffentlichkeit ausrichten.

Haben Sie ein Beispiele dafür, wo diese Ausrichtung zu weit gegangen ist?

Eines, das ich seit zwei Jahren gerne zitiere, betrifft eine Presseaussendung der Fraunhofer-Gesellschaft, die nach wie vor im Netz zu finden ist. Darin wurden Tonminerale gegen Nierenkrankheiten empfohlen. Die Mitteilung drückt auf Knöpfe, die man eher vom Boulevard kennt: Geschildert wird das traurige Schicksal einer Dialysepatientin, der nun vom betreffenden Fraunhofer-Institut Rettung versprochen wird. Es stellte sich aber heraus, dass die Geschichte der Patientin erfunden war, und die Methode bisher über den Tierversuch nicht hinausgekommen ist. Ein krasses Beispiel dafür, dass es hier nicht die wissenschaftliche Wahrheit gewesen sein kann, die Anlass war für die Kommunikation.

Nachrichten verbreiten kann heute fast jeder und jede: Wie sehen Sie die Rolle der Sozialen Medien für die Wissenschaftskommunikation?

Twitter ist auf jeden Fall ein Signalgeber, der auf Themen auf Homepages oder anderer Medien hinweist, die sich eventuell für eine intensivere Berichterstattung lohnen. Das ist fast eine Binsenweisheit. Bei Facebook gehen die Meinungen auseinander, weil es doch eine stark diskursive Ausrichtung hat und die News gar nicht so im Mittelpunkt stehen. Aber natürlich müssen die neuen digitalen Medien in der Wissenschaftskommunikation mitgedacht werden. Deshalb diskutieren wir in den Wissenschaftsakademien Deutschlands dazu auch eigene Qualitätsstandards. Nicht zuletzt weil man auch sagen muss: Die Reichweiten von Hochschulen in Social Media sind zumeist sehr gering, da freut man sich über 500 Klicks auf YouTube.

Generell würde ich sagen: Wenn es um eine breite Öffentlichkeit geht, sind professionelle Journalisten weiterhin unverzichtbar. Im Zweifelsfall muss man sie mit öffentlichen Mitteln fördern, so wie man auch die Wissenschaft mit Drittmitteln fördert. Social Media können eine interessante Ergänzung sein, sie können aber eine kritische Beobachtung nicht ersetzen. Diese kritische Beobachtung erfordert viel Zeit und Kompetenz, sie kostet Geld, und wird bisher vom klassischen Wissenschaftsjournalismus geleistet.

Was braucht es, damit er dies auch in Zukunft leisten kann, welche Anforderungen stellen Sie an einen glaubwürdigen Wissenschaftsjournalismus?

Es sind die gleichen, die sich auch dem Politik- oder Wirtschaftsjournalismus stellen: kritisch nachfragen, nicht zu viel Respekt haben vor Experten, aber auch handwerkliche Fähigkeiten, die digitalen Medien nutzen, um den Wert einer Pressemitteilung oder eine Studie schnell einschätzen zu können, das sind die wichtigsten Dinge. Zusammenfassend könnte man sagen: Wie in die anderen Ressorts muss auch der Wissenschaftsjournalismus einen Mehrwert bieten gegenüber dem, was man woanders ohnehin finden kann, sei es auf Facebook oder YouTube.

Mich macht es immer wahnsinnig, wenn man erkennt, dass die Recherche in Massenmedien, wo Profis sitzen oder sitzen sollten, aus dem Eintippen einiger Begriffe in Google bestanden hat. Dafür braucht man keinen Journalismus mehr. Er muss einen Mehrwert liefern und transparent machen, worin dieser besteht, wie intensiv man z. B. für eine Geschichte recherchiert hat.

Interview: Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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