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Freies Wissen für die Welt?

Mehr als 37 Millionen Beiträge in knapp 300 Sprachen, erstellt von unzähligen Freiwilligen - die Onlineenzyklopädie Wikipedia ist in den vergangenen 15 Jahren enorm gewachsen. Jeder Fünfte besucht die Seite regelmäßig. Doch zum Geburtstag gibt es nicht nur Zuspruch für Wikipedia, auch kritische Stimmen mehren sich.

15 Jahre Wikipedia 15.01.2016

Wer wissen möchte, wie es sich anhört, wenn Wikipedia weltweit wächst, der sollte die Webseite "Listen to Wikipedia" besuchen. Jede Änderung in einem Beitrag wird akustisch dargestellt: Je größer der Eingriff, desto tiefer der Ton. Der nicht abreißende Klangteppich macht deutlich: Im Wiki-Universum tut sich einiges, auch 15 Jahre nach seiner Gründung. Dass die Anzahl derjenigen, die Artikel verfassen, sinkt, könnte man dabei glatt überhören.

Rückblick

Am 15. Jänner 2001 erblickte Wikipedia das Licht der Welt: Die US-Amerikaner Jimmy Wales und Larry Sanger gründeten Wikipedia als Folgeprojekt ihres Onlinelexikons Nupedia. Das Vorhaben lautete damals wie heute, das Wissen der Welt zusammenzutragen und jedem frei zugänglich zu machen. Das Besondere an dem Projekt war die Software: Mit ihr war es jedem Nutzer und jeder Nutzerin möglich, neue Artikel anzulegen bzw. andere zu bearbeiten.

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Über das Thema berichtet auch das Mittagsjournal, 15.1., 12.00 Uhr.

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Einen Monat später waren 600 Beiträge online, inzwischen sind es mehr als 37 Millionen. Die deutsche Ausgabe, die im Monat mehr als eine Milliarde Mal aufgerufen wird, steht im Ranking der knapp 300 Sprachen auf Platz drei - hinter der englischen und der schwedischen Ausgabe. Online erscheint mittlerweile nur das, was von etablierten Nutzern für gut befunden und mit entsprechenden Quellenangaben versehen wurde.

Vertrauen ist groß

Dass Wikipedia heute großes Vertrauen bei den Nutzerinnen und Nutzern genießt, zeigt eine Umfrage des Digitalverbandes Bitkom. Knapp 80 Prozent halten die Artikel für "immer" oder "meistens" verlässlich. Nur 18 Prozent sind selten von der Verlässlichkeit der Wikipedia-Beiträge überzeugt. Das erklärt auch die Beliebtheit der Plattform im deutschsprachigen Raum: Vier von fünf Internetnutzern, die älter als 14 Jahre alt sind, suchen hier nach Informationen.

Wikipedia liegt im Trend

"Wikipedia entspricht damit dem Trend, den wir im gesamten Informationsbereich beobachten", sagt Homero Gil de Zuniga, Leiter des Media Innovation Lab der Universität Wien. "Die Menschen konsumieren immer mehr Informationen, die nicht von traditionellen Produzenten wie Medienunternehmen erzeugt werden." Der Politikwissenschaftler betont, dass Wikipedia teilweise sogar als Nachrichtenkanal genützt würde: "Wikipedia ist längst nicht nur mehr eine Enzyklopädie. Die Plattform liefert viele Informationen in Echtzeit, eben weil weltweit daran gearbeitet wird."

Zahl der Autoren sinkt

Neben Lob gibt es zum 15. Geburtstag jedoch auch ausreichend Kritik: Die Anzahl derjenigen, die Beiträge verfassen, nimmt seit 2007 kontinuierlich ab. US-amerikanische Wissenschaftler haben die Gründe dafür in einer Studie untersucht: Sie machen zum einen das komplizierte Regelwerk der Plattform dafür verantwortlich. Wer dagegen verstößt, müsse damit rechnen, dass seine Beiträge gelöscht werden.

Als zweites Problem identifiziert die Studie die mangelnde Willkommenskultur in der Community. Auf den Diskussionsseiten der einzelnen Beiträge herrscht statt der vorgeschriebenen Freundlichkeit ein rauer Umgangston. Auch das scheint immer mehr Autoren zu vertreiben.

Männer und Industrienationen dominieren

Hinzu kommt: Der typische Wikipedia-Autor ist weiß, männlich und lebt in einer westlichen Industrienation. Der Frauenanteil in der Community liegt bei gerade 16 Prozent, während die Leserschaft mit 50 Prozent Frauenanteil die gesellschaftliche Realität tatsächlich widerspiegelt.

Dass die Onlineenzyklopädie nicht so demokratisch und offen ist, wie oft angepriesen, zeigte auch eine Studie der Universität Oxford. In Beiträgen, die Länder oder Orte beschreiben, stammen fast die Hälfte der Änderungen von Autoren aus reichen Industrieländern - genauer aus fünf Ländern: Großbritannien, den USA, Frankreich, Deutschland und Italien. Selbst von Autoren aus den Niederlanden, die sich bei der Auswertung nicht in den "Top Ten" befanden, wurden mehr Änderungen vorgenommen als in ganz Afrika.

Damit nicht genug: Selbst bei den Änderungen, die in den ärmeren Ländern des globalen Südens vorgenommen werden, bezieht sich ein großer Teil auf Einträge über Europa und Nordamerika.

Zukunftsplan: Globaler werden

Nicht zuletzt wegen dieser Kritik soll Wikipedia in den nächsten Jahren globaler werden. "Das zählt zu unseren größten Aufgaben", sagte Jimmy Wales vor Kurzem gegenüber der dpa. Dieses Ziel will der Wikipedia-Gründer auch mit technischen Innovationen erreichen. Denn was die mobile Internetnutzung via Smartphone und Tablet betrifft, hinkt Wikipedia seit geraumer Zeit hinterher.

Ein Bericht des Pew Research Centers konnte im vergangenen Jahr für die USA zeigen, dass 39 der 50 meistbesuchten Websites mehr Besuche via Smartphone und Co. verzeichnen als von Standrechnern und Laptops. Die finanziellen Mittel für einen Ausbau der mobilen Nutzungsmöglichkeiten sollten Wikimedia, der Trägerorganisation von Wikipedia, eigentlich zu Verfügung stehen. Allein bei der jüngsten Spendenaktion in Deutschland konnte das werbefreie Onlinelexikon 8,6 Millionen Euro lukrieren. Das aktuelle Gesamtbudget von Wikimedia wird auf 68 Millionen Dollar geschätzt.

Marlene Nowotny, Ö1-Wissenschaft/Material: APA/dpa

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