In einem E-Mail-Interview machen sich der Wissenschaftsjournalist und Blogger Florian Freistetter, der Pressesprecher der Universität Innsbruck, Uwe Steger, und die Medienwissenschaftlerin Maren Beaufort Gedanken zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Wissenschaftsjournalismus und -kommunikation. Teilhabe des Publikums und die Auflösung von Ressortgrenzen wird gefordert - und: "Der Wissenschaftsjournalismus soll sich mehr Zeit lassen."
science.ORF.at: Was hat sich in den 15 Jahren am meisten verändert in Wissenschaftsjournalismus und -kommunikation?
Themenschwerpunkt:
Anlässlich des 15-jährigen Bestehens von science.ORF.at setzt die Redaktion einen Schwerpunkt zum Thema Wissenschaftsjournalismus und -kommunikation. In diesem Rahmen bereits erschienen ist der Beitrag:
Sendungshinweise:
Dem Thema widmeten sich auch Beiträge in Wissen aktuell (15.1., 13:55 Uhr) und dem Dimensionen Magazin (15.1., 19:05 Uhr).

Simon Kumm/Susanne Schlie
Florian Freistetter ist Astrononom, Wissenschaftsautor, seit Kurzem Bestandteil der Science Busters und bloggt auf "Astrodicticum Simplex"

Uni Innsbruck
Uwe Steger ist Leiter des Büros für Öffentlichkeitsarbeit und Kulturservice an der Universität Innsbruck, er wurde 2015 zum beliebtesten Forschungssprecher in der Kategorie "Forschungsinstitute und Hochschulen" im deutschsprachigen Raum gewählt

ÖAW
Maren Beaufort ist Junior Scientist am Institut für vergleichende Medien‐ und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Florian Freistetter: Der Wissenschaftsjournalismus gerät immer öfter unter Zeitdruck. Wenn jede neue Meldung von den Pressestellen der Universitäten sofort über soziale Medien verbreitet wird, verzichtet man heutzutage zu oft auf ordentlich recherchierte Artikel, weil man nicht den Anschluss verlieren möchte. Das ist meiner Meinung nach ein großer Fehler.
Uwe Steger: Die Wissenschaftskommunikation seitens der Hochschulen und Forschungseinrichtungen hat sich deutlich professionalisiert. Die diversen Social-Media-Kanäle helfen auch dabei, Inhalte schneller und direkter zu verbreiten. Leider hat sich der Bereich des Wissenschaftsjournalismus aufgrund der - auch der zunehmenden Digitalisierung geschuldeten - Umstrukturierungen innerhalb der Medienunternehmen nicht ebenfalls vergrößert, sondern gerät zunehmend unter Druck.
Maren Beaufort: Am meisten hat sich der Stellenwert der Wissenschaft in den Medien und in der Gesellschaft verändert – und damit die Erwartungen an Wissenschaftskommunikation. Die Zeiten, in denen Erkenntnisse der hehren Wissenschaft einem staunenden und dankbaren Publikum bloß "in einfacher Sprache" näher gebracht, "verständlich gemacht", also "popularisiert" werden mussten, sind weitgehend vorbei. Ein Blick auf die Ergebnisse unser Studien zeigt deutlich: Die Menschen wollen von den genannten Instanzen ernst genommen werden, wollen ihnen auf Augenhöhe begegnen (nicht inhaltlich, sondern auf der Ebene der Kommunikation) – und somit weder bottom up noch top down informiert werden. Und sie möchten sich mit Themen auseinandersetzen, die einen Bezug zu ihrer Lebenswelt haben. Partizipative Kommunikationsmodelle und die Einbindung des wissenschaftlichen Problemlösungspotenzials in den gesellschaftlichen Diskurs sind hier gefragt.
Die Wissenschaft wird immer kompetitiver: Welchen Stellenwert hat da die Kommunikation ihrer Resultate? Und wie wirkt das auf die Wissenschaft zurück?
Florian Freistetter: Idealerweise sollten Wissenschaftler/innen immer die Ergebnisse ihrer Arbeit publizieren - denn immerhin forschen sie im Allgemeinen für die Öffentlichkeit und werden von der Öffentlichkeit bezahlt. Sie sollten zur Kommunikation verpflichtet werden. Stattdessen gilt in der Wissenschaft ein zu großes Engagement in der Öffentlichkeitsarbeit leider immer noch zu oft als Zeitverschwendung oder gar als unseriös.
Uwe Steger: "Tue Gutes und sprich darüber" - dieser Satz stimmt auch zunehmend für Wissenschaftler/innen. Im Wettbewerb um Ressourcen ist es inzwischen deutlich wichtiger geworden, die eigene Arbeit auch öffentlich darzustellen. Dazu findet natürlich ein Generationswechsel innerhalb des Wissenschaftsbetriebes statt, und diese neue Generation ist aufgrund ihrer Sozialisation deutlich medienaffiner. Natürlich birgt das langfristig ein wenig die Gefahr, dass Projekte eher entlang sogenannter "Sexy-Themen" entwickelt werden, aber derzeit ist das nicht der Fall.
Maren Beaufort: Im Forschungsalltag, der immer mehr vom Erfüllen rein wissenschaftsinterner Kennzahlen bestimmt wird, gerät die Rolle der Wissenschaft als wichtiger Partner in politischen und gesellschaftlichen Prozessen allzu oft in den Hintergrund. Wenn sich Wissenschaft aber ihrer eigenen gesellschaftlichen Bedingtheit bewusst ist und ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachkommen will, muss sie mit ihren Erkenntnissen in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen präsent sein. Und dies im Wissen darüber, dass sich ihre Resultate erst und nur in der Lebensrealität der Menschen bewähren und sich ihre Programme wesentlich aus dem gesellschaftlichen Diskurs heraus entwickeln (müssen). Dieser Diskussion entzogen zu werden (auch durch fehlende Anerkennung einschlägiger Investitionen), hieße Motivation und Anspruch wissenschaftlicher Tätigkeit zu verleugnen - nämlich das Leben und die Welt nicht nur zu beschreiben und zu erklären, sondern auch gestalten zu helfen.
Sollen Wissenschaftler/innen heute selbst über ihr Tun berichten (z.B. auf Blogs, Facebook)? Oder braucht es dazu weiter Journalist/innen? Und welchen Stellenwert hat da der öffentlich-rechtliche Rundfunk?
Florian Freistetter: Es spricht nichts dagegen, dass Forscher/innen und Journalist/innen über Wissenschaft berichten. Jede Gruppe hat ihren eigenen Blick auf die Thematik, ihre eigene Zielgruppe und ihre eigene Motivation. Und für die Öffentlichkeit ist die persönliche Sicht der Wissenschaftler/innen genauso interessant wie der distanzierte journalistische Blick. Der ÖR-Rundfunk sollte Blogs und soziale Medien nicht als Konkurrenz sehen, sondern sich auf die Art der Wissenschaftskommunikation konzentrieren, die nicht von den Wissenschaftler/innen selbst kommen kann.
Uwe Steger: Sowohl als auch! Aufgrund der veränderten digitalen Möglichkeiten ist es auch für WissenschaftlerInnen einfacher geworden, ihre Arbeit direkt und ohne Vermittler einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Außerdem wird die Stellungnahme von ExpertInnen heute auch seitens der Gesellschaft erwartet. Unabhängig davon braucht es jedoch gerade in einer immer unübersichtlich werdenden Welt von Informationen und Meinungen (Wissenschafts)JournalistInnen, die Dinge einordnen und bewerten. Öffentlich-rechtliche Medien haben hier meines Erachtens eine besondere Aufgabe und Verantwortung.
Maren Beaufort: Was Wissenschaftsjournalismus sein soll, hat Matthias Kohring von der Universität Mannheim auf den Punkt gebracht: "Ein Journalist informiert nicht schon deshalb über ein wissenschaftliches Ergebnis, weil es produziert wurde und schon deshalb einen (Nachrichten-)Wert hätte. Dieser Ansicht sind vor allem die Wissenschaftler selbst. Ein Journalist informiert über dieses Ergebnis, weil es einen Bezug zur übrigen Gesellschaft aufweist, und zwar aus Sicht dieser 'übrigen Gesellschaft'", der ja gerade der gebührenfinanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk verpflichtet ist.
Was ist die Aufgabe von Wissenschaftsjournalismus heute? Was wünschen Sie sich von ihm?
Florian Freistetter: Ich wünsche mir vor allem, dass der Wissenschaftsjournalismus sich Zeit lässt. Anstatt sofort irgendwelche Pressemitteilungen zu kopieren, nur um mit den Schlagzeilen vorne mit dabei zu sein, sollte man mutig genug sein, auch einmal abzuwarten. Und dann vielleicht eine Geschichte schreiben, die nicht sonst überall auch zu lesen ist.
Uwe Steger: Ich glaube, dass sich die Aufgaben des Wissenschaftsjournalismus nicht verändert haben. Nach wie vor geht es doch darum, wissenschaftliche Entwicklungen und Erkenntnisse kritisch zu begleiten und für ein nicht-wissenschafliches Publikum entsprechend verständlich aufzubereiten. In einer Zeit, die vom technologischen Fortschritt angetrieben immer schnelllebiger wird, gewinnt diese Aufgabe zunehmend an Bedeutung, um der Gesellschaft auch die Möglichkeit zu geben, fundierte Standpunkte zu entwickeln. Ich wünsche mir hier kritische Wissenschaftsjournalist/innen, die die Wissenschaftskommunikator/innen nicht als Gegner/innen, sondern als Partner/innen verstehen.
Maren Beaufort: Begegnung und Dialog zwischen Bürger/innen und der Wissenschaft zu ermöglichen heißt: Wissenschaft aus dem Ghetto der Wissenschaftsberichterstattung herauszuholen und dort zu platzieren, wo sie hingehört: nämlich als Querschnittsmaterie mitten ins Programm - in die Politik, die Wirtschaft, die Kultur, den Sport und (ja, auch) in Lifestyle-Themen. Medien sollten bewusst lang gehegte und in Ressorts gegossene Grenzen überschreiten und das Repertoire an Personen erweitern, die sie sichtbar werden lassen: Wenn ich mein Publikum vor allem mit gut gebildeten Männern mittleren Alters konfrontiere, werden sich viele Menschen nicht identifizieren können, insbesondere nicht junge Menschen. Gerade hier zeigen unsere Studien, dass ein möglichst früher Kontakt mit Wissenschaft prägend bleibt.
Elke Ziegler, Lukas Wieselberg, science.ORF.at