Standort: science.ORF.at / Meldung: "Knochen belegen Steinzeitmassaker"

Schädel eines Steinzeit-Menschen mit diversen Verletzungen

Knochen belegen Steinzeitmassaker

Am Ufer des Turkanasees müssen sich einst grausame Szenen abgespielt haben. Darauf lassen Verletzungen an gefundenen Skeletten schließen und ihre Lage im Sediment. Doch was löste das Steinzeit-Gemetzel aus - und warum blieben kleine Kinder und Hochschwangere nicht verschont?

Fund 20.01.2016

Eine Hochschwangere, deren Hände und Füße möglicherweise zusammengebunden waren, sowie sechs Kinder: Die Knochen weisen auf ein schauerliches Gemetzel hin. Insgesamt seien Überreste von mindestens 27 Menschen gefunden worden, berichten die Wissenschaftler. Zwölf Skelette waren demnach recht gut erhalten, zehn davon wiesen klare Zeichen von heftiger, wohl sofort tödlicher Gewalt auf.

Die Studie in "Nature":

"Inter-group violence among early Holocene hunter-gatherers of West Turkana, Kenya" von M. Mirazón Lahr et al., erschienen am 21. Jänner 2016.

Skelett einer verletzten Frau aus der Steinzeit

Marta Mirazon Lahr

Die Überreste eines weiblichen Opfers mit Verletzungen an den Beinen. Wahrscheinlich war sie gefesselt.

Eingeschlagene Schädel und Jochbeine zählten dazu, gebrochene Rippen, zertrümmerte Hand- und Kniegelenke sowie - wohl von steinernen Spitzen herrührende - Verletzungen, berichtet das Team um Marta Mirazón Lahr von der University of Cambridge. In einem Schädel und einem Oberkörper steckten insgesamt drei steinerne Spitzen: zwei aus in der Region seltenem, aus Lava entstehendem Obsidian und eine aus Feuerstein. Bei einigen Skeletten wies die Lage der Knochen darauf hin, dass die Opfer möglicherweise gefesselt waren.

Rivalisierende Clans?

Die Getöteten sind laut den Forschern nicht begraben worden. Mehrere von ihnen seien damals in eine Lagune des Sees gefallen oder gestoßen worden, die inzwischen längst ausgetrocknet sei. Im Sediment seien die Knochen der 21 Erwachsenen - darunter mindestens acht Frauen - und sechs Kinder bis zu ihrer Entdeckung 2012 konserviert worden. Die Überreste lagen in der Ausgrabungsstätte Nataruk westlich des Turkanasees im Norden Kenias.

Wahrscheinlich sei eine Gruppe des Jäger-und-Sammler-Volkes, vielleicht ein Familienverband, am Ufer der Lagune von einem rivalisierenden Clan angegriffen worden, mutmaßen die Wissenschaftler. Ob dies bei einem zufälligen Aufeinandertreffen oder wegen eines Streits um Ressourcen wie Land oder Nahrung geschah, bleibt unklar. Die Stelle war demnach wohl ein guter Platz zum Leben - mit Trinkwasser und Fischen direkt am Lager. Gefundenes Töpfergut weist darauf hin, dass Nahrungsmittel gehortet wurden.

Seltener Fund

Funde wie diese sind den Autoren zufolge selten - und besonders rar sind Belege für Gewalt zwischen verschiedenen Gruppen von Jäger-und-Sammler-Gesellschaften. Sie erlaubten wertvolle Rückschlüsse auf die Ursprünge von Kriegen und die Entwicklung der Beziehungen zwischen frühen Menschen.

Schädel eines Steinzeitmenschen mit diversen Verletzungen

Marta Mirazon Lahr, enhanced by Fabio Lahr

Schädel eines Opfers mit diversen Verletzungen

Kriegerische Auseinandersetzungen habe es wohl nicht erst bei den sesshaften Ackerbau-Gesellschaften gegeben. Ungewöhnlich sei, dass auch die Frauen und Kinder getötet wurden. Üblicherweise habe man diese sie in die Gruppe der Sieger integriert, nur die unterlegenen Männer wurden getötet.

Jäger-und-Sammler-Konflikt

Im vergangenen Jahr hatten Forscher im Fachmagazin "PNAS" über ein Massengrab im hessischen Schöneck-Kilianstädten in der Nähe von Frankfurt am Main berichtet. Überreste von 26 Menschen waren dort entdeckt worden, die während der Jungsteinzeit vor etwa 7.000 Jahren gefoltert und erschlagen wurden.

Die Funde ließen sich allerdings nur bedingt vergleichen, sagt der Anthropologe Christian Meyer, der die Studie damals gemeinsam mit Kollegen an der Universität Mainz durchführte: Während die Überreste aus Schöneck-Kilianstädten von sesshaften Menschen stammten, gehe der nun vorgestellte Fund auf einen Konflikt zwischen Jäger-Sammler-Gruppen zurück.

Gezielte Gewalt

"Aus der Ethnologie weiß man, dass solche relativ kleinen und mobilen Gruppen einander bei Konflikten eher aus dem Weg gehen", so Meyer. Umso bemerkenswerter sei nun der Fund in Kenia, auch wegen seines Alters. Allerdings lasse sich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob es sich um einen Konflikt zwischen zwei Gruppen oder um eine Auseinandersetzung innerhalb einer größeren Gruppe handele.

Meyer überzeugt die Studie vor allem durch die Pfeilspitze, die in einem der Knochen steckte. "Das ist der sicherste Beleg für gezielte Gewalt oder kriegsähnliche Geschehnisse in diesem Kontext." Dass es sich um eine gewaltsame Auseinandersetzung gehandelt habe, sei eine logische Schlussfolgerung. "So lange es Menschen gibt, die Gruppen bilden und eine Gruppenidentität haben, so lange wird es auch Konflikte geben - egal ob vor zehn oder 10.000 Jahren."

science.ORF.at/APA/dpa

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