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Sonnensystem: Planeten kreisen um ihren Stern

Ist da draußen ein neunter Planet?

Forscher haben Hinweise auf einen bisher unbekannten Planeten im Sonnensystem gefunden - ein Gasriese, der für die Umrundung der Sonne bis zu 20.000 Jahre benötigt. Direkt beobachtet wurde er allerdings noch nicht. Nun beginnt ein Wettrennen: Wem gelingt der erste Blick auf "Planet neun"?

Gesucht 21.01.2016

Als die Internationale Astronomische Union vor neun Jahren ihren jüngsten Beschluss veröffentlichte, kamen wohl bei so manchem Hobbyastronomen sentimentale Gefühle auf. Denn Pluto, dem kleinen und von vielen liebgewonnenen Wanderer am Rande des Sonnensystems, wurde bei der Generalversammlung im August 2006 der Planetenstatus aberkannt.

Der Grund: Er ist zu klein, zu wenig rund und hat seine Umlaufbahn nicht vollständig leergeräumt - und ist folglich laut neuer Definition nur ein Zwerg-, aber eben kein echter Planet. Da waren es deren nur noch acht in unserem Sonnensystem.

Weit entfernter Riese

Die Studie

"Evidence for a distang giant planet in the solar system" von Konstantin Batygin und Mike Brown ist am 20. Jänner 2016 im "Astronomical Journal" erschienen.

Aussendung zur Studie: "Caltech Researchers Find Evidence of a Real Ninth Planet"

Ö1-Sendungshinweis

Über dieses Thema berichten heute auch das Morgenjournal, 21.1.2016, 8.00 Uhr und "Wissen aktuell", 13.55 Uhr.

Nun scheint Ersatz für Pluto in Sicht. Wie die beiden amerikanischen Astrophysiker Konstantin Batygin und Mike Brown in einer aktuellen Studie berichten, zieht möglicherweise da draußen ein bisher unbekannter Himmelskörper seine Bahnen um die Sonne. Der Steckbrief des großen Unbekannten liest sich wie eine Ansammlung astronomischer Superlative.

Der Gasriese dürfte in Aufbau und Größe Neptun nicht unähnlich sein. Die Forscher vermuten, dass er etwa zehnmal so groß ist wie die Erde und die Sonne in sage und schreibe 90 Milliarden Kilometer Entfernung umrundet. Zum Vergleich: Neptun, der äußerste Planet unseres Sonnensystems, ist von der Sonne "bloß" 4,5 Milliarden Kilometer entfernt.

Künstlerische darstellung von "Planet Neun"

Caltech/R. Hurt (IPAC)

So könnte "Planet neun" aussehen

Angesichts dieser Größenordnungen nimmt es auch nicht wunder, dass ein Jahr auf dem neuen Planeten - Brown und Batygin nennen ihn "Planet neun" - jenseits irdischer Maßstäbe liegt: Er braucht für eine volle Runde um die Sonne 10.000 bis 20.000 Erdenjahre. Die sensationelle Entdeckung ist allerdings noch mit einigen Fragezeichen versehen. Denn mit Teleskopen direkt beobachtet wurde der neue Planet noch nicht. Brown und Batygin schließen auf seine Existenz vielmehr durch ein theoretisches Modell.

Modell sagt Existenz voraus

Dieses Modell versucht zu erklären, warum manche Objekte im Kuipergürtel - eine von Kometen und Kleinplaneten dicht bevölkerte Region außerhalb der Neptunbahn - auffällige Ähnlichkeiten aufweisen. Browns ehemaligem Mitarbeiter Chad Trujillo fiel bereits vorletztes Jahr auf, dass die elliptischen Umlaufbahnen von sechs Himmelskörpern im Kuipergürtel in eine Richtung weisen, als würden sie von einem imaginären Lasso zusammengehalten.

Dass so eine Konstellation durch Zufall entstanden ist, sei möglich, so Brown, aber "extrem unwahrscheinlich". In Zahlen: eins zu 14.000. Brown und Batygin fütterten ein Computermodell mit der Annahme, dass dieser Lassoeffekt von der Gravitation eines großen Planeten stammen könnte - und siehe da: Die Bausteine fügten sich nahtlos ineinander.

Video: Brown und Batygin erläutern ihre Studie

So weit wäre das Modell bloß eine mehr oder minder elegante Rekonstruktion von Beobachtungsdaten. Was die Forscher aber davon überzeugt, hier auch einen Existenzbeweis in Händen zu halten, ist der Umstand, dass das Modell auch ein paar unabhängige Vorhersagen trifft. Es erklärt unter anderem, warum der Zwergplanet Sedna eine so eigenartige Bahn beschreibt und Neptun niemals wirklich nahe kommt: Auch dafür dürfte die Schwerkraft von "Planet neun" verantwortlich sein.

"Wir waren zu Beginn wirklich skeptisch", sagt Brown. "Doch nun sind wir überzeugt, dass es da draußen wirklich etwas gibt. Erstmals seit 150 Jahren gibt es solide Hinweise, dass die Liste der Planeten im Sonnensystem nicht vollständig ist."

Wiederholt sich die Geschichte?

Scott Sheppard von der Carnegie Institution zeigt sich von der neuen Studie angetan, ist aber noch nicht gänzlich überzeugt. "Ich finde diese Arbeit aufregend", sagte er gegenüber der Nachrichtenagentur AP. "Ich würde sagen: Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Planet real ist, liegt bei 75 Prozent." Auch NASA-Forscher Alan Stern mahnt zur Vorsicht, bis der Planet via Teleskop beobachtet wurde: "Vorhersage und Entdeckung sind unterschiedliche Dinge."

Bahnen von Kleinplaneten im Kuipergürtel

Caltech/R. Hurt (IPAC) / WorldWide Telescope

Der Lassoeffekt: Bahnen von Kleinplaneten im Kuipergürtel

Dieses Vorhaben könnte sich ziemlich zeitaufwendig gestalten, betont Thomas Posch vom Institut für Astronomie der Universität Wien. Denn bisher konnten die Forscher die Bahn von "Planet neun" nicht so genau bestimmen, als dass eine punktgenaue Suche - zum Beispiel mit Hilfe des Keck-Observatoriums auf Hawaii - möglich wäre.

Wie es etwa anno 1846 bei Neptun der Fall war: Damals hatten Forscher aufgrund von Störungen der Uranusbahn ebenfalls die Existenz eines neuen Planten vorhergesagt. Ihre Angaben waren so präzise, dass Johann Gottfried Galle, zu dieser Zeit Observator der Berliner Sternwarte, die Entdeckung binnen kurzer Zeit gelang. In einer Hinsicht hinkt der historische Vergleich jedoch. "Planet neun" bewegt sich, so er denn existiert, viel langsamer als Neptun. Auch das ist wohl ein Grund dafür, dass die Suche alles andere als einfach wird.

Das Wettrennen beginnt

"Die Angaben zur Bahn des neuen Planeten sind mathematisch nicht eindeutig", sagt Posch. "Ich könnte mir aber durchaus vorstellen, dass Brown und Batygin einer möglichen Lösung bereits einen Schritt näher sind als die Publikation es erkennen lässt." Für diese Vermutung spricht, dass Brown ein überaus erfolgreicher Zwergplanetenjäger ist - und als solcher die Entdeckung naturgemäß gerne selbst machen würde.

Diese wäre, wie Posch betont, wohl "nobelpreiswürdig" und trüge überdies das Potenzial für eine historische Pointe. Denn Brown ist in der Fachgemeinde als "Pluto-Killer" bekannt: Seine Entdeckungen von plutoähnlichen Kleinplaneten waren mitverantwortlich dafür, dass Pluto 2006 degradiert wurde. Mit "Planet neun" könnte er die verschuldete Dezimierung im Planetensystem wieder ausgleichen.

Robert Czepel, science.ORF.at

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