Standort: science.ORF.at / Meldung: "Raben können sich in andere hineinversetzen"

Ein Rabe blickt gen Himmel

Raben können sich in andere hineinversetzen

Sich in andere Menschen hineinversetzen und ihre Sichtweise übernehmen: Für uns ist das selbstverständlich. Im Tierreich ist solch ein Perspektivenwechsel hingegen äußerst selten. Nur einige Primaten können das – und Raben, wie eine neue Studie Wiener Kognitionsbiologen zeigt.

Verhaltensforschung 03.02.2016

"In unseren Experimenten konnten wir nachweisen, dass Raben ein Verständnis für die Perspektive eines Artgenossen haben. Sie wissen, was die anderen denken", sagt Studienleiter Thomas Bugnyar vom Department für Kognitionsbiologie der Uni Wien.

Besitzen sie "Theory of Mind"?

Die Studie

"Ravens attribute visual access to unseen competitors" von Thomas Bugnyar, Stephan Reber und Cameron Bruckner ist am 2. Feber 2016 in "Nature Communications" erschienen.

Ö1 Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 3. Februar 2016., 13:55 Uhr.

Dass die Tiere äußerst schlau sind, haben schon zahlreiche Studien und Beobachtungen gezeigt: Raben lernen hervorragend, prägen sich individuell Gesichter ein, können Werkzeuge benutzen und zum Teil selbst herstellen – kurz: Sie gelten als die Schimpansen unter den Vögeln. Ob sie auch zu einer "Theory of Mind" fähig sind, ist in der Fachwelt indes umstritten. Der Begriff stammt aus der Philosophie und Psychologie – deshalb ist es kein Wunder, dass die Wiener Forscher mit dem US-Philosophen Cameron Bruckner von der University of Houston zusammengearbeitet haben.

"Theory of Mind" bedeutet verkürzt gesagt die Fähigkeit, anderen Gedankenwelten zuzuschreiben und sich in diese hineinversetzen zu können. Kleine Kinder etwa müssen erst lernen, dass andere Menschen nur dann über ein Ereignis Bescheid wissen können, wenn sie dabei waren oder ihnen darüber berichtet wurde. Man muss also eine Vorstellung darüber aufbauen, was ein anderer weiß bzw. welche Schlüsse er auf Basis dessen ziehen könnte.

Ob auch Tiere eine "Theory of Mind" haben, ist schwer zu überprüfen. Fragen kann man sie nicht, und deshalb versuchen Experimente eine Antwort zu geben. "Dabei ist es extrem schwierig zu unterscheiden zwischen dem, was ein Tier über das Denken eines anderen Tieres weiß, und dem, was es durch das Verhalten des anderen weiß – wobei das Verhalten mit dem Denken korreliert", sagt Thomas Bugynar.

Ein schwarzer Rabe schaut in die Kamera

Jana Müller

Einer der Raben mit Futter im Schnabel, das er sogleich verstecken wird

Futter verstecken – oder auch nicht

Um das eine vom anderen unterscheiden zu können, hat sich das Team um Bugnyar ein besonders ausgefeiltes Experiment einfallen lassen. Sie sperrten dazu in einem ersten Schritt jeweils einen Raben in benachbarte Räume. Saß nebenan ein dominanter Artgenosse, folgte eine natürliche Reaktion: Die Vögel versteckten besonders leckere Futterstücke, die sie von den Forschern bekommen hatten.

In einem zweiten Schritt wurde die Sicht zwischen den beiden Räumen eingeschränkt: Nur mehr durch ein münzgroßes Guckloch konnten die Raben in den Nachbarraum schauen. Dazu spielten ihnen die Forscher einen Streich: Auf der anderen Seite war nämlich nun gar kein echter Rabe mehr, sondern nur noch ein Lautsprecher, der Rabenlaute von sich gab. Das Verhalten der Raben hing nun davon ab, ob das Guckloch geöffnet war oder nicht. Bei geschlossenem Loch versteckten sie das leckere Futter nicht. War das Guckloch hingegen offen, gruben sie das Futter genauso ein, wie wenn sie den Artgenossen gesehen haben.

Und genau hier liegt der Perspektivwechsel. Auch wenn die Tiere das Gegenüber nur gehört und durch das kleine Loch nicht gesehen hatten, schlossen sie aus der eigenen Erfahrung, dass das prinzipiell möglich ist. "Die Raben denken sich quasi: Wenn ich hinüberschauen kann, muss der auch herschauen können. Und deshalb verstecken sie das Futter wieder", sagt Bugnyar. Sie können sich also in die Lage des anderen hineinversetzen und besitzen somit eine Art von "Theory of Mind".

Ein Rabe versteckt Futter unter Steinen

Jana Müller

Futter wird versteckt

Wie Kinder mit guter Förderung

Ähnliches gelte auch für Schimpansen, wobei die konkreten Experimente noch nicht so weit fortgeschritten seien wie bei den Raben, sagt der Kognitionsbiologe. Dass seine von Hand aufgezogenen Vögel auf der Forschungsstation Haidlhof im niederösterreichischen Bad Vöslau intelligenter sind als Durchschnittsraben, glaubt er übrigens nicht.

"Es kann sein, dass wir sie bis zu den Grenzen ihrer Fähigkeiten ausreizen. Aber ich würde das eher mit Kindern mit guter Schulförderung vergleichen. Sie werden bei Schultests sicher besser abschneiden. Wenn man aber testet, was sie im täglichen Leben brauchen, werden sich keine Unterschiede finden – bei den Kindern nicht und auch nicht bei den Raben."

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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