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Arzt betrachtet ein Lungenröntgen

Warum Krebs so schwer zu besiegen ist

Pro Jahr sterben weltweit acht Millionen Menschen an Krebs. Trotz größter Anstrengungen ist es immer noch nicht gelungen, die Krankheit zu bezwingen. Fachleuten zufolge besteht dennoch Hoffnung: Die Immuntherapie könnte die Krebsmedizin revolutionieren.

Weltkrebstag 04.02.2016

"Lasst uns Amerika zu dem Land machen, das Krebs ein für alle Mal heilt." Mit diesem Satz präsentierte US-Präsident Barack Obama im Jänner die letzte große wissenschaftliche Initiative seiner Amtszeit. Für den "Cancer Moonshot", wie es Obama in seiner Rede zur Lage der Nation ausdrückte, kontaktierte Vizepräsident Biden in den letzten Monaten mehr als 200 Forscher und private Geldgeber. Genaue Budgets wurden noch nicht genannt, doch sicher ist: Es werden beträchtliche Beträge fließen. Sie sollen, um in Obamas Bild zu bleiben, der amerikanischen Krebsforschung den entscheidenden Schub verleihen, um die Vision Wirklichkeit werden zu lassen.

Sendungshinweis

Anlässlich des Weltkrebstages am 4. Februar berichtete auch das Ö1-"Mittagsjournal" über dieses Thema.

Neues Krebsforschungszentrum

In Innsbruck wurde ein neues Forschungszentrum, das Comprehensive Cancer Center, gegründet. Dort wollen Wissenschaftler maßgeschneiderte Therapien für Krebspatienten entwickeln. Die Leitung übernimmt der Innsbrucker Onkologe Günther Gastl.

Ausschnitt aus Barack Obamas Rede zur Lage der Nation am 12. Jänner

Der Vergleich mit der Mondlandung ist freilich ein wenig abgegriffen. Als "Moonshot" wurden in den letzten Jahren einige wissenschaftliche und technische Initiativen bezeichnet, Google Books etwa, ebenso die Kernfusion oder die Kartierung des menschlichen Gehirns. Doch das ist nicht das eigentliche Problem an der Metapher. Das Problem ist, dass sie suggeriert, als wäre der Erfolg ein singuläres Ereignis. Das ist nicht der Fall.

Man könnte den Einwand auch historisch formulieren. Schon Richard Nixon hatte in den 70er Jahren ein ähnlich engagiertes Forschungsprogramm ausgerufen. Sein "war on cancer" löste damals - nicht zuletzt ob der üppigen Dotierung des National Cancer Institute - auch in der Wissenschaftsgemeinde großen Optimismus aus. Ein Optimismus, der aus heutiger Sicht wohl ein wenig überzogen war. Denn gewonnen wurde der "Krieg gegen den Krebs" offensichtlich nicht. Und zwar aus den gleichen Gründen, die auch Obamas aktuelle Rhetorik fragwürdig machen. Diese seien im Folgenden genannt. Warum Krebs so schwer zu besiegen, aber dennoch nicht unverwundbar ist.

1. Krebs ist keine homogene Erkrankung

Streng genommen dürfte man von dem Krebs im Singular gar nicht sprechen. Der Begriff ist ein Gefäß für ein pathologisches Sammelsurium - für Entartungen von Geweben, die unkontrolliert wachsen und den Organismus, dem sie entstammen, zu zerstören drohen. Im menschlichen Körper gibt es rund 200 verschiedene Zelltypen, sie alle können sich auf verschiedenen Pfaden zu bösartigen Tumoren entwickeln. In Wahrheit hat man es mit Hunderten Erkrankungen zu tun, bei manchen gibt es bereits ausgezeichnete Therapien, andere sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt unheilbar.

"In manchen Fällen wäre ein Therapieerfolg mit einem Flug zum Mond vergleichbar", sagte Richard Moriggl, Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Krebsforschung. "In anderen Fällen würde ich die Heilung eher mit einer Landung auf der Venus, dem Uranus oder sogar außerhalb des Sonnensystems vergleichen. Ich begrüße Obamas Vision, aber man muss realistisch bleiben: Therapien werden in nächster Zeit nicht überall möglich sein."

2. Vielfalt wurde unterschätzt

Dass die Prognosen über mögliche Therapieerfolge in früheren Zeiten zu optimistisch ausfielen, hat auch mit dem Erbgut der Tumore zu tun. Wie vielfältig die genetischen Architekturen von Krebszellen sind, beginnt sich erst heute durch die Arbeit des Human Cancer Genome Project abzuzeichnen.

"Die Genetik ist unglaublich kompliziert. Wir haben sie noch nicht vollständig verstanden", so Moriggl. Die klassischen Behandlungsarten wie Strahlen- und Chemotherapie nehmen sich angesichts dieser Vielfalt recht grobschlächtig aus: Letztere schädigt speziell Zellen, die sich schnell teilen - das sind zwar vornehmlich Krebszellen, aber nicht nur. Dementsprechend groß sind die Nebenwirkungen.

3. Ausweichmanöver: Wandelbare Krebszellen

Natürlich gibt es auch zielorientierte Therapieformen, die das unkontrollierte Wachstum von Tumoren stoppen, indem sie deren molekulare Archillesferse angreifen. Sind die stetig mutierenden Tumorzellen zahlreich, finden sich allerdings im Körper mit einiger Wahrscheinlichkeit Klone, die gegen den Wirkstoff resistent ist. Diese Klone vermehren sich rasant, das "Spiel" beginnt von Neuem.

Krebsgewebe verhalten sich also in gewisser Hinsicht wie die antike Hydra - jenes schlangenartige Ungeheuer der griechischen Mythologie, dem zwei Köpfe nachwuchsen, sobald man ihm einen abschlug. Vor allem aus diesem Grund ist Früherkennung besonders wichtig: Je früher der Krebs erkannt wird, desto größer sind die Heilungschancen. Das zeigt sich auch im Vergleich verschiedener Krebsarten. Brust- und Darmkrebs etwa kann man mittlerweile im Frühstadium gut diagnostizieren und somit erfolgreich behandeln.

Anders sieht es bei Bauchspeicheldrüsenkrebs aus. Dieser wird meist erst dann erkannt, wenn es zu spät ist. Laut Günther Gastl, Onkologe vom Innsbrucker Klinikum, zeichnet sich hier ein Silberstreif am Horizont ab. Liquid Biopsy nennen Forscher dieses Verfahren: "Ich hoffe, dass es in den nächsten Jahren möglich sein wird, maligne Vorgänge in Geweben über das Blut nachzuweisen. Mit Hilfe dieser Methode könnten die Heilungschancen bei Bauchspeicheldrüsenkrebs steigen - und auch bei vielen anderen Krebsarten."

4. Krebs ist eine Alterskrankheit

Seit Richard Nixon in den 70er Jahren dem Krebs den Krieg erklärt hat, sind der Forschung einige entscheidende Durchbrüche gelungen. Krebsgene wurden entdeckt, Viren als Krankheitsauslöser dingfest gemacht und neue Wirkstoffe in klinischen Studien erprobt. Der medizinische Fortschritt schlägt sich auch in den Statistiken nieder: Die Heilungsraten stiegen bei den meisten Krebserkrankungen, relativ gesehen ist die Bilanz also erfreulich.

Nach absoluten Zahlen indes nehmen die Krebserkrankungen weiter zu. In Österreich gibt es rund 300.000 Menschen, die aktuell Krebs haben oder daran im Laufe ihres Lebens erkrankt sind. Dahinter steckt ein demografisches Phänomen. Der Anteil der Alten in westlichen Industriegesellschaften steigt - ein Ende des Trends ist nicht absehbar: Die Lebenserwartung nimmt pro Jahrzehnt zwei bis drei Jahre zu. Und da Krebs vor allem bei Menschen über 50 auftritt, werden auch die Krebsstatistiken dieser Entwicklung folgen.

5. Wir bekommen täglich Krebs

"Krebs entsteht dann, wenn das Immunsystem körpereigene entartete Zellen nicht mehr erkennt", sagt Richard Moriggl. "In einem gesunden Menschen entstehen täglich rund 100.000 Krebszellen. Sie werden normalerweise vom Immunsystem sofort platt gemacht."

So gesehen ist manifester Krebs ein seltener Ausnahmefall in einem bestens funktionierenden Sicherheitssystem. Das erkannte der amerikanische Chirurg William Coley bereits vor mehr als 100 Jahren: Er injizierte Patienten abgetötete Bakterien ins Tumorgewebe und machte auf diese Weise das Immunsystem "scharf" im Kampf gegen den Feind im eigenen Körper. Seine Methode zeitigte einige Erfolge, doch mit dem Aufkommen der Strahlen- und Chemotherapie geriet sie wieder in Vergessenheit.

6. Immuntherapie: Erstaunliche Erfolge

Erst seit Kurzem feiern Coleys Ideen eine Renaissance. Das Fachblatt "Science" wählte 2013 die Immuntherapie gegen Krebs zum wissenschaftlichen Durchbruch des Jahres. Verantwortlich für diesen Umschwung waren Entdeckungen auf molekularem Gebiet: etwa die Erkenntnis des Immunologen James P. Allison, dass es auf sogenannten T-Lymphozyten Rezeptoren gibt, mit denen sich diese Immunzellen als Waffe gegen Krebszellen aktivieren lassen. Diese Entdeckung führte zur Entwicklung der sogenannten Checkpoint-Blockade. Wirkstoffe aus der Klasse der Checkpoint-Hemmer verhindern, dass sich Krebszellen vor dem Immunsystem verstecken können - und liefern sie damit der körpereigenen "Immunpolizei" aus. Auch wenn die Erprobung dieser Methode noch in ihren Anfängen steckt, sind Fachleute bereits jetzt begeistert.

Der Wiener Kliniker Christoph Zielinski sprach kürzlich gegenüber Ö1 von einem "sensationellen Durchbruch" bei der Therapie des Lungenkarzinoms. Durch die neuen Medikamente habe sich die Überlebenszeit im Schnitt verdoppelt. Etwa 20 Prozent aller Behandelten sprechen auf die Therapie an und sind dadurch - voraussichtlich - geheilt. Ähnlich sind die Zahlen beim Schwarzen Hautkrebs.

Noch eindrucksvoller sei die Wirkung beim sogenannten Hodgkin-Lymphom, so der Innsbrucker Krebsforscher Günther Gastl: "Vor 40 Jahren sind fast alle Betroffenen an dieser Krankheit gestorben. Nun haben wir eine neue Immuntherapie zur Verfügung, die Ergebnisse sind fantastisch. Möglicherweise sind wir in ein paar Jahren so weit, dass wir unsere Patienten komplett heilen können."

7. Metastasen sind nicht immer tödlich

Fortschritte macht Gastl auch auf anderen Gebieten aus. Früher galt ein metastasierender Tumor als Todesurteil. "Das ist heute nicht mehr so. Hier ist ein Dogma gefallen." Dieser Befund gelte etwa für die Behandlung von Dickdarmkrebs. Ähnliche Hoffnungen dürfe man sich auch bei Anwendungen von Immuntherapeutika machen - sofern diese, und das ist keine geringe Einschränkung, bezahlbar sind: Die Kosten für eine Behandlung mit dem neuen Wirkstoff Opdivo betragen etwa gegenwärtig 40.000 Euro pro Jahr.

Solche Beträge kann in flächendeckender Anwendung "kein Gesundheitssystem der Welt stemmen", so Gastl. Er ist mit dieser Diagnose nicht allein. Auch aus diesem Grund arbeiten Forscher nun fieberhaft an verbesserten Prognosemethoden. Mediziner sollten im Idealfall bereits vor der Therapie wissen, ob ein Patient auf einen bestimmten Wirkstoff anspricht oder nicht. Dass das möglich ist, zeigt das Beispiel Brustkrebs: Hier existiert bereits ein Marker, der über die Sinnhaftigkeit einer Behandlung mit dem Antikörper Herceptin Auskunft gibt. Der Wirkstoff halbiert die Rückfallquote nach Brustkrebsoperationen und rettete in Europa wohl 50.000 Frauen das Leben.

Die Entwicklung der letzten Jahre stimme ihn optimistisch, so Gastl, die Immuntherapie sei noch lange nicht ausgereizt, mit weiteren Fortschritten sei zu rechnen. Ähnlich sieht das sein Fachkollege Richard Moriggl aus Wien: "Ich hätte nicht gedacht, dass wir selbst die härtesten Krebsarten zu einem Viertel aller Fälle in den Griff bekommen. In zehn Jahren sind wir vielleicht bei 50 Prozent."

Robert Czepel, science.ORF.at

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