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Künslerische Darstellung: Gehirn im Kopf eines Menschen

Hirndoping: "Ich war vier Tage schlaflos"

Ilina Singh von der Universität Oxford hat einen Hirndoping-Selbstversuch unternommen. In einem Interview spricht die britische Neurowissenschaftlerin über ihre Erfahrungen - und erklärt, wie man den Geist ohne Pillen ankurbelt. Drei bewährte Hausmittel: Frühstück, Sport und Sex.

Interview 17.02.2016

science.ORF.at: Frau Professor Singh, wann haben Sie das letzte Mal ihr Gehirn gedopt?

Ilina Singh: Kommt darauf an, was Sie darunter verstehen. Also, heute Früh hatte ich Kaffee und gestern Abend etwas Wein – sofern Koffein und Alkohol für Sie bereits Dopingmittel sind. Wenn sie dabei an Pharmazeutika denken: Ich habe vor etwa einem Jahr Modafinil ausprobiert.

Ein Medikament, das eigentlich gegen Schlafkrankheit verschrieben wird ...

Gegen "Narkolepsie", genau.

Porträtfoto von Ilina Singh

Robert Czepel, science.ORF.at

Ilina Singh ist Professorin für Neurowissenschaften und Gesellschaft an der Universität Oxford. Arbeitsgebiete: Neuroethik und die Wirkung von Medikamenten auf die kindliche Entwicklung. Am 16.2. nahm sie in Wien an einer Podiumsdiskussion der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) teil: "Kluge Grenzen oder grenzenlos klug? Wie sinnvoll ist geistige Leistungssteigerung?"

Warum haben Sie das Mittel ausprobiert?

Zum einen, weil ich neugierig war. Und es gab auch einen praktischen Anlass. Ich musste damals ein Projekt abschließen und wusste: Das schaffe ich nur, wenn ich vier Tage nicht schlafe.

Vier Tage komplett ohne Schlaf?

Jedenfalls sehr viel weniger als normalerweise.

Was haben Sie von diesem Selbstversuch mitgenommen?

Die Erkenntnis, dass ich mein Zeitmanagement verbessern muss! Und dass ich Modafinil nicht regelmäßig einnehmen will.

Wie fühlt sich die Wirkung an?

Neben der Schlaflosigkeit berichten viele Menschen von einem verminderten Hungergefühl, Nebenwirkungen sind auch Kopfschmerzen und ein trockener Mund.

Kommen wir nochmals auf Koffein und Alkohol zurück: Ist das aus Ihrer Sicht bereits Doping?

Wir Ethiker formulieren diese Frage so: Wo ist die Grenze zwischen Behandlung und Verbesserung? Bei der Behandlung gleichen wir ein Defizit aus, beim Doping wollen wir etwas, das über das Normalmaß hinausgeht. Das muss nicht immer positive Folgen haben: Wenn wir zu viel trinken, "dopen" wir auch – aber wir tun unserem Gehirn damit nichts Gutes.

Hirnforscher sprechen in diesem Zusammenhang auch von "neurokognitivem Enhancement", was so viel bedeutet wie: "Verbesserung der Denkleistung". Ist das nur ein Fachbegriff? Oder können uns Pillen wirklich klüger machen?

Ich würde sagen, bei der Mehrheit aller Menschen sehen wir kaum Wirkungen. Aber es gibt ein paar spezielle Effekte, die nachgewiesen wurden: Man kann sich mit chemischer Hilfe in einen Zustand innerer Erregung versetzen. Möglicherweise können wir durch Pillen auch unsere Arbeitsmotivation steigern – das könnte allerdings ein Placebo sein. Sicher ist, wie erwähnt: Wir können mit Hilfe pharmazeutischer Unterstützung deutlich länger aufbleiben. Ob wir in diesem Zustand auch besser arbeiten können, ist wiederum eine andere Frage. Die Anzeichen dafür sind minimal.

Intelligenz oder Kreativität lassen sich nicht steigern?

Was die Intelligenz anlangt: mit Sicherheit nicht. Stimulanzien setzen die Kreativität herab, bei anderen Partydrogen gibt es Hinweise, dass sie das kreative Denken fördern könnten – aber das fällt für mich eher unter "Freizeit" als unter "Enhancement".

Warum ist es so schwierig, die Intelligenz zu steigern? Sie hat ja auch eine biochemische Basis.

Weil zur Intelligenz so viele verschiedene Hirnleistungen dazugehören - Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Informationsverarbeitung, Gedächtnis und so weiter. Ich möchte auch betonen: "Intelligenz" gibt es in der Natur gar nicht. Wir haben dieses Konzept erfunden, um ein sehr breites Spektrum von Hirnleistungen zu messen. Ich erwarte nicht, dass eine Substanz das gesamte Spektrum beeinflussen könnte.

Im Jahr 2008 hat das Wissenschaftsmagazin "Nature" eine Umfrage veröffentlicht, die zeigt: Jeder fünfte Forscher verwendet Medikamente, um seine Arbeitsleistung zu steigern. Was sagt uns das über die Wissenschaft?

Ich würde das nicht überbewerten. Das waren lauter "Nature"-Leser. Das Sample hatte, wie wir sagen, einen starken Bias. Es war nicht besonders wissenschaftlich – und ich denke, diesem Urteil würden auch die Umfrageautoren zustimmen.

Zumindest lässt sich eine Tendenz ablesen.

Grundsätzlich überrascht mich das Ergebnis nicht: Wissenschaftler sind eben experimentierfreudig.

Die beliebteste Substanz ist laut Umfrage Ritalin. Auch Studenten schlucken es immer häufiger. Das Medikament wird normalerweise bei Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung verschrieben. Ist es eine gute Idee, so ein Präparat als gesunder Mensch einzunehmen?

Ich würde es niemandem empfehlen. Andererseits glaube ich, dass jeder das Recht hat, diese Entscheidung zu treffen. An Universitäten würde ich jedenfalls dafür sorgen, dass das Präparat nicht mit anderen Drogen zirkuliert. Und es bräuchte Aufklärung darüber, welche Nebenwirkungen die Einnahme haben kann.

Berichten zufolge kann man auf Ritalin lernen wie ein Roboter.

Das ist kompletter Unsinn!

Zitat aus einem Selbstversuch, der in der Wochenzeitung "Die Zeit" veröffentlicht wurde: "Ja, ich bin ein Zombie, aber ein Zombie, der lernt wie eine Maschine."

Die Medien haben das Thema völlig hochgespielt. Das sind Einzelberichte, die nichts oder wenig mit der tatsächlichen Wirkung von Ritalin bei gesunden Manschen zu tun haben. Vielleicht können sich manche ein bisschen besser fokussieren, mag sein, aber im Durchschnitt sehen wir kaum Effekte.

Wir haben nun so viel über Medikamente gesprochen. Was sagen Sie zum Beispiel zu einem Spaziergang an der frischen Luft?

Ich werde bei meinen Vorträgen von Eltern oft gefragt: Wie kann ich die Denkleistung meines Kindes unterstützen? Und ich antworte: Geben Sie ihm ein gesundes Frühstück! Das ist für Kinder der wichtigste Faktor überhaupt. Sport ist auch nützlich. Und bei älteren Personen: Sex.

Sex ist gut fürs Gehirn?

Ja, der Effekt ist jenem von Sport nicht unähnlich. Der Ausstoß von Endorphinen und von Oxytocin fördert das Denkvermögen, zumindest für eine gewisse Zeit. Was Spaziergänge an der frischen Luft angeht, sind mir keine Untersuchungen bekannt. Aber bei der Meditation gibt es recht gute Daten: Auch sie hat mit großer Wahrscheinlichkeit positive Effekte

Interview: Robert Czepel, science.ORF.at

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