Standort: science.ORF.at / Meldung: "Raumstation "Mir" startete ins All"

Einer der Arme von "Mir" in der Erdumlaufbahn

Raumstation "Mir" startete ins All

Den Wettlauf zum Mond hat die Sowjetunion gegen die USA verloren. Die sowjetische Raumstation "Mir", die vor 30 Jahren ins All gestartet ist, war zu ihrer Zeit aber das größte künstliche Objekt in der Umlaufbahn der Erde. Unter den mehr als 100 Besuchern des Himmellabors befand sich auch der bisher einzige Österreicher im All.

Vor 30 Jahren 18.02.2016

Der Astronaut Franz Viehböck war im Oktober 1991 Gast an Bord und führte im Rahmen des "Austromir"-Projekts 15 Experimente durch.

Flaggschiff der sowjetischen Raumfahrt

Begonnen hat "Mir" seine Tätigkeit fünf Jahr zuvor: Am 19. Februar 1986 startet von Baikonur aus zunächst eine Proton-Rakete mit dem mehr als 20 Tonnen schweren Modul in die Umlaufbahn. Die Betriebsdauer des "Nationalen Orbital-Komplexes", wie das Himmelslabor im Jargon der Kommunistischen Partei heißt, war auf sieben Jahre angelegt. Doch die "Mir" bleibt 15 Jahre im All - und wurde zum Mythos. "Wir stünden ohne diese Erfahrung noch am Anfang", sagt der Astronaut Thomas Reiter.

Zwar leisten die sowjetische "Saljut" (1971) und das US-amerikanische Skylab (1973) als Arbeitsplätze im All wichtige Pionierarbeit. Die "Mir" ist aber eine galaktische Premiere: Ein solch komplexes, für den Betrieb in der Schwerelosigkeit geschaffenes Gebilde hat es noch nicht gegeben. Die Idee von einem ständig bewohnten Koloss im Kosmos setzt sich in Moskau in den 1970er Jahren durch. Ansporn ist das Trauma, den Wettlauf zum Mond gegen die USA verloren zu haben.

Die Raumstation "Mir" von außen in der Erdumlaufbahn

NASA

"Mir" in der Erdumlaufbahn

Von nun an setzt die UdSSR verstärkt auf Vorposten im All, und die "Mir" wird zum Flaggschiff der sowjetischen Raumfahrt, zum "Roten Stern" am Technikhimmel. Das Basismodul dient dabei als "fliegender Bauwagen", von dem aus Kosmonauten die "Mir" erweitern. Bis 1996 folgen vier Module, ein Labor und vier Solar-Panels. Die Inneneinrichtung stammt aber gleichermaßen aus der Steinzeit der Raumfahrt, wie Reiter 1995 als einer von vier deutschen "Mir"-Besuchern feststellt.

1997: Feuer an Bord

Pumpen und Ventilatoren verursachen Lärm wie im Inneren eines Staubsaugers. Dusche und Toilette entpuppen sich als fehleranfällig. Schläuche durchziehen kreuz und quer die Station, Schraubzwingen halten eine Luke dicht.

"Viele Russen basteln am Wochenende an ihrem Lada herum - mit dieser Einstellung sind auch die Kosmonauten auf der 'Mir' am Werk", schildert der Astronaut Reinhold Ewald launig die Lage auf dem 136 Tonnen schweren Weltraumfossil. Eine Raumstation sei eben "keine Vielfliegerlounge" mit Plüschsesseln.

Ewald ist 1997 kaum eine Woche auf dem Außenposten rund 350 Kilometer über der Erde, als der schlimmste Fall eintritt: Feuer auf der "Mir". Mit Mühe löscht die dreiköpfige Besatzung die halbmeterlange Stichflamme aus einem Sauerstoffgenerator.

Doch die Materialermüdung auf dem robusten Orbit-Oldtimer ist unübersehbar. Mal tritt Chemie aus der Kühlung aus, dann kommt es beim Bordcomputer zum Blackout, schließlich schlägt ein Frachter ein Leck in die Schutzhülle.

Im Inneren der "Mir" bei einer Mission 1997

Associated Press

Im Inneren der "Mir" bei einer Mission 1997

"Russische Roulette im All"

Eigentlich soll die Raumstation von Nachfolger "Mir-2" ersetzt werden. Doch mit der Sowjetunion geht 1991 auch die Raumfahrtindustrie des Riesenreichs unter. In Moskau fehlen die Mittel und im All die Ersatzteile. "Mit mehr als 1.600 Defekten stellt die "Mir" einen uneinholbaren Pannenrekord auf", ätzt die Zeitung "Segodnja". Von "Russischem Roulette im All" schreibt das Blatt "Iswestija".

Zwar stemmt sich die Besatzung mit Bravour und hohem Einsatz gegen die Rückschläge, aber zum Forschen kommen die Astronauten kaum. Dabei gleicht die "Mir" mittlerweile mit Pflanzen und Kleintieren einem botanischen Garten mit Minizoo.

Ihrem Namen, der übersetzt "Frieden" oder "Welt" bedeutet, macht die Station alle Ehre: Um den Betrieb zu finanzieren, lässt Russland 1995 US-Astronauten an Bord - ein Höhepunkt in der Zusammenarbeit der einstigen Konkurrenten.

Franz Viehböck nach der Landung am 10. Oktober 1991 in der Steppe von Kasachstan

APA/Wolfgang Wagner

Franz Viehböck nach der Landung am 10. Oktober 1991 in Kasachstan

Reste ruhen nun in Frieden im Meer

Doch die USA drängen auf eine gemeinsame neue Basis. Mit dem Aufbau der Internationalen Raumstation ISS ab 1998 beginnt das Abwracken der mittlerweile zum technischen Denkmal gewordenen "Mir". Ein letzter Versuch, das marode Sowjeterbe mit Hilfe eines Investors zum Weltraumhotel umzubauen, schlägt fehl. In ihren letzten Monaten kreist die "Mir" unbemannt um die Erde - wie ein Geisterschiff. Außen prangt die Kennung eines längst untergegangenen Landes: CCCP (UdSSR).

Am 23. März 2001 leitet Moskau den Sturz zur Erde und damit das flammende Finale ein. Was nicht in der Atmosphäre verglüht, geht als Trümmerhagel im Südpazifik östlich von Neuseeland nieder. Nach etwa 86.300 Erdumrundungen ruht die "Mir" in Frieden auf dem Meeresgrund.

… und so geht es weiter

Rund 15 Jahre nach dieser Seebestattung zeichnet sich erneut eine richtungsweisende Entscheidung ab. Die "Mir" gilt als Meilenstein der bemannten Raumfahrt und der internationalen Zusammenarbeit im All und die Raumstation ISS profitiert massiv von diesen Erfahrungen.

Allerdings hat Russland angekündigt, die Zusammenarbeit etwa 2024 zu beenden: Moskau will künftig wieder einen eigenen Außenposten im Kosmos betreiben, von dem militärische Aufklärung möglich sein soll.

science.ORF.at/dpa

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