Grundsätzlich wissen die Quantenphysiker ja, dass die Quantenwelt nicht intuitiv ist und viele Phänomene der Alltagserfahrung widersprechen. Gäbe es eine "Quantenmünze", hätte sie nicht nur die beiden Seiten "Kopf" oder "Zahl", auch unendlich viele Möglichkeiten dazwischen wären erlaubt. Mit verschiedenen Experimenten versuchen die Physiker diese eigentümlich anmutende Welt zu erkunden.
Die Studie
"Automated Search for new Quantum Experiments" von Mario Krenn erscheint diese Woche in den " Physical Review Letters " (Preprint auf arXiv.org).
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So wollten sie ein spezielles Experiment mit dem quantenphysikalischen Phänomen der Verschränkung durchführen. Dabei bleiben zwei verschränkte Teilchen über beliebige Distanzen hinweg miteinander verbunden. Misst man eines dieser Teilchen, passiert völlig ohne Zeitverzögerung auch an dem anderen etwas. Würde man etwa zwei "Quantenmünzen" miteinander verschränken, bei einer davon nachschauen und sehen, dass Kopf oben liegt, würde augenblicklich auch die andere Münze Kopf zeigen.
Melvin macht's möglich
Die Wissenschaftler wollten nun nicht nur zwei, sondern mehrere Lichtteilchen (Photonen) miteinander verschränken. Und das nicht nur - wie bei der "Quantenmünze" - in zwei Dimensionen (Kopf oder Zahl), sondern in mehreren Dimensionen. Das wäre wie bei der Verschränkung von zwei Spielwürfeln, die dann - wegen der sechs Möglichkeiten - in sechs Dimensionen verschränkt wären. "Wir wussten aber nicht, wie man solche speziellen Quantenzustände erzeugen soll", sagt Mario Krenn.
Weil sie also an die Grenzen ihrer Intuition stießen, versuchte es Krenn mit dem Computer. Er entwarf ein Programm und gab ihm neben bestimmten zu erfüllenden Kriterien u.a. die verschiedenen Werkzeuge wie Strahlteiler, Prismen und andere optische Elemente, mit denen man die Eigenschaften von Photonen verändern kann. Diese sollte es kombinieren und dabei die Kriterien erfüllen.
"Ich habe das Programm am Abend eingeschaltet und in der Früh hatte es rund 400.000 verschiedene Kombinationen durchgesucht - und genau eine sinnvolle Lösung gefunden", sagte Krenn. Diese sei aber "noch unglaublich kompliziert" gewesen. Zu zweit habe es noch einen ganzen Tag gedauert, um den Computervorschlag quasi zu entrümpeln - eine Tätigkeit, um die Krenn mittlerweile das "Melvin" genannte Programm erweitert hat, so dass es auch diesen Schritt automatisch macht.
Auch für andere Fragen einsetzbar
Der Vorschlag des Programms war durchaus überraschend. "Während wir Physiker viele Lösungen intuitiv verwerfen und gar nicht durchrechnen würden, geht der Computer völlig unvoreingenommen ans Werk, rechnet alles durch und schaut nur, ob alle vorgegebenen Kriterien erfüllt sind", sagte Krenn.
Mit der von "Melvin" vorgeschlagenen Lösung ist es den Physikern gelungen, Vorstufen zum ursprünglichen Ziel einer Vielteilchen-Verschränkung in mehreren Dimensionen zu realisieren. Sie haben das Programm aber auch für andere Fragen angewendet und so neue, teilweise überraschende Antworten bekommen. "Dadurch konnten wir einige neue experimentelle Tricks im Labor umsetzen, an die wir zuvor nicht gedacht hatten", sagte Krenn.
"Melvin" kann von bereits erzielten Ergebnissen lernen, was die Lösungsmöglichkeiten für kompliziertere Fragen deutlich erhöht. Sie wollen das Programm aber auch für allgemeinere Fragen in der Quantenphysik nutzen. Krenn hat "Melvin" in der Publikation sehr detailliert beschrieben, andere Physiker könnten so ihre eigene Version des Programms programmieren.
science.ORF.at/APA
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