Mit Amphetaminen Gehirn "pushen"
Ausgewählte Studien:
- "Near-infrared spectroscopy neurofeedback as a treatment for children with attention deficit hyperactivity disorder ADHD-a pilot study", in: Frontiers in Human Neuroscience, "Jänner 2015
- "Evaluation of neurofeedback in ADHD", in: "Biological Psychology", Jänner 2014
- Überblick in "Pubmed"
Ö1 Sendungshinweis:
Über Neurofeedback berichtet auch das Mittagsjournal am 25.2.2016.
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Manche von ihnen wirken, als wären sie "aufgezogen"; können kaum ruhig sitzen, haben keine Geduld, plappern permanent und laut. Andere sitzen zurückgezogen in einer Ecke, hängen ihren Träumen nach, sind dauernd abgelenkt. So widersprüchlich diese Beschreibungen wirken, beide passen zum sogenannten "Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom" - bei ersterem Typ kommt noch Hyperaktivität hinzu, bei ihnen spricht man von ADHS, bei zweiterem nur von ADS.
Beiden Typen gemeinsam ist, dass ihr Gehirn anders arbeitet als bei Kindern ohne AD(H)S. "Man geht davon aus, dass ihr Gehirn unteraktiviert ist", erklärt Lilian Konicar, Neurowissenschaftlerin und Psychologin an der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Medizinischen Universität Wien. "Medikamente wie Ritalin beheben diese Unteraktivierung. Sie wirken wie ein Amphetamin, das heißt, sie sind 'Pusher' und erhöhen die Gehirnaktivität." In der Medizin laufen Ritalin und Co. deshalb auch unter dem Titel "Stimulanzien".
Suche nach Alternativen

science.ORF.at/Elke Ziegler
Medikamente sind bei ADHS aber nicht immer die Lösung: Immer wieder sprechen junge Menschen nicht auf den Wirkstoff Methylphenidat an, bei manchen hat er so massive Nebenwirkungen in Form von Schlafstörungen und Appetitlosigkeit, dass die Behandlung abgebrochen wird. Und bei manchen wollen die Eltern nicht, dass ihre Kinder Medikamente nehmen, die in den Stoffwechsel des Gehirns eingreifen.
So war es auch beim siebenjährigen Lukas, dem neben Autismus auch der Verdacht auf ADHS diagnostiziert wurde. Kurz nach Eintritt in die Schule wurde der Mutter des Buben nahegelegt, "ich soll doch Medikamente geben, dass er ruhiger wird und sich in der Klasse wohlfühlt. Das wollte ich aber nicht, deshalb habe ich begonnen, mich nach Alternativen umzusehen", sagt die 37-jährige Kinderkrankenschwester Agnes Cseres. Fündig geworden ist sie bei Neurofeedback.
Dem Gehirn einen Spiegel vorhalten
Bei Neurofeedback handelt es sich um keine neue Methode, im Gegenteil: Schon in den 1970er Jahren wurden Studien veröffentlicht, dass sich mit Neurofeedback Epilepsie behandeln lässt. Und es liegen auch schon einige Studien vor, laut denen bei ADHS gute Erfolge erzielt werden können (siehe Marginalie).
Das Prinzip der Behandlung ist immer dasselbe: Bei Neurofeedback werden mit drei bis fünf Elektronen an der Kopfhaut die Gehirnströme gemessen und mit einem Computerbildschirm verschaltet. Am Bildschirm sieht das Kind etwa eine Blumenwiese oder kleine Flugzeuge, und über die Gehirnströme kann das Bild verändert werden. "Im Grunde genommen wird dem Gehirn gespiegelt, was es tut. Durch die Spiegelung erkennt das Gehirn: Wenn es bestimmte elektrochemische Prozesse ablaufen lässt, beispielsweise bestimmte Frequenzanteile oder Amplituden erhöht, kann es auf die Abläufe am Bildschirm Einfluss nehmen", erklärt Thomas Flatz vom Institut "Brain Balance" im 6. Bezirk in Wien.
Regelmäßiges Training wichtig

science.ORF.at/Elke Ziegler
Ein solcher Einfluss kann sein, dass die Flugzeuge plötzlich schneller fliegen oder es schaffen, besonders viele Edelsteine einzusammeln. Oder dass die Blumen auf der Wiese besonders schnell und farbenprächtig aufblühen. Aber nicht nur visuelle Reize signalisieren dem Gehirn, dass seine Aktivität etwas bewirkt hat, auch Tonsignale und leichte Vibrationen tragen zum positiven Feedback bei. "Dadurch ergibt sich eine Vielzahl von Reizen, und das Gehirn erkennt relativ rasch, was es tun muss, damit es möglichst viele dieser positiven Reize bekommt", so Thomas Flatz.
Welche Teile des Gehirns durch Neurofeedback besonders stimuliert werden, hängt immer vom Grund ab, warum jemand zur Behandlung kommt. Neurofeedback ist eine Trainingsmethode für das Gehirn, und regelmäßiges Training ist wichtig, betont Thomas Flatz. Zwischen 20 und 40 Einheiten im Labor brauche es, bis die Wirkung stabil bleibt.
Hohe Kosten, privat zu bezahlen
Dass Neurofeedback gute Erfolge in der Behandlung von ADHS zeigt, bestätigt auch die Neurowissenschafterin und Psychologin Lilian Konicar von der MedUni Wien. Medikamente wie etwa Ritalin wirken meist kurz nach dem Absetzen nicht mehr, das ist bei Neurofeedback anders: "Internationale Studien haben gezeigt, dass Neurofeedback auch noch zwei Jahre nach dem Training wirkt", so Lilian Konicar.
Aber auch das sei deutlich gesagt: Nicht alle Kinder mit ADHS können durch Neurofeedback die Medikamente absetzen, die meisten aber die Dosis verringern. Lukas jedenfalls lebt heute gut ohne Medikamente, sagt seine Mutter: "Er kann sich besser konzentrieren, er ist aufmerksamer, er ist nicht mehr so impulsiv wie früher und kann deshalb auch besser soziale Kontakte knüpfen."
Nur einen Kritikpunkt hat die Kinderkrankenschwester Agnes Cseres bezüglich Neurofeedback: Im Gegensatz zu den Medikamenten muss es privat finanziert werden. Im Institut "Brain Balance" in Wien kommt eine Stunde kommt auf 90 Euro, eine Therapie durchschnittlich auf 3.500 Euro.
Elke Ziegler, science.ORF.at