Was bisher geschah
Zur Erinnerung: Im März des vergangenen Jahres stuften von der Internationalen Krebsforschungsagentur (IARC) der WHO beauftragte Experten das weltweit am häufigsten eingesetzte Pflanzenschutzmittel Glyphosat als wahrscheinlich krebserregend ein. Die komplette IARC-Monographie zu dem Wirkstoff wurde im Juli veröffentlicht.
Ö1 Sendungshinweis:
Darüber berichtet auch das Morgenjournal am 26.2. um 7:00.
Die Meldung platzte in das laufende Neuzulassungsverfahren auf europäischer Ebene, denn die alte Zulassung läuft im Juni 2016 aus. Beantragt wurde die Neuzulassung von der sogenannten Glyphosat Task Force, einem Zusammenschluss von 22 Herstellern und Vertreibern des Unkrautvernichtungsmittels. Als verantwortliche nationale Behörde wird das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) beauftragt.
Nach den WHO-Erkenntnissen verzögerte sich der Prozess: Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) gab bekannt, dass sie sich für ihre Empfehlung zur Neuzulassung mehr Zeit nehmen wolle. Die Einschätzung wurde von August auf November verschoben. Am 12. November 2015 folgte eine positive Stellungnahmen der Behörde. Die endgültige Entscheidung lag nun bei der Europäischen Kommission.
Gegen die Einschätzung der EU-Behörde formierte sich rasch internationaler Protest. In einem offenen Brief an EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis erheben etwa 100 namhafte Forscher schwere Vorwürfe gegen das BfR und die darauf aufbauende Bewertung der EFSA.
Schlagabtausch der Behörden
Dann wurde es zumindest in der Öffentlichkeit eher ruhig um das Thema. Im Hintergrund aber folgte ein Schlagabtausch zwischen den WHO- und den EFSA-Experten. Der Leiter der unabhängigen WHO-Forscher Christopher Portier kritisierte in einem Offenen Brief an Kommissar Andriukaitis die Vorgangsweise der EFSA, ein Auszug: "Unter Verwendung unbrauchbarer historischer Kontrolldaten und unter Ignorieren der anerkannten OECD Richtlinien [..]verwarf das BfR unrichtigerweise alle Befunde zu den von Glyphosat verursachten Krebseffekten bei Tieren als zufällig."
In einem Antwortschreiben bestreitet der Leiter der EFSA die Vorwürfe. Die nicht eben freundliche Korrespondenz zwischen den Behörden endete am 12. Februar. Ein geplantes Treffen platzte, weil die EFSA nicht bereit war, Aussagen über die wissenschaftliche Arbeit von IARC auf ihrer Webseite zu korrigieren.
Ein offener Brief von europäischen Abgeordneten an Andriukaitis (28.1.16) gegen eine Neuzulassung von Glyphosat blieb in der Zwischenzeit ebenfalls ungehört.
Alles nach Plan
Fast zeitgleich mit dem Ende der Korrespondenz zwischen IARC und EFSA wurde öffentlich bekannt, dass das zuständige Expertengremium bereits am 7. und 8. März eine Entscheidung über die Neuzulassung fällen soll, offiziell wurde der Termin gestern, am 24. Februar.
Die Anfrage von science.ORF.at an die Europäische Kommission, ob dies etwas mit dem Expertenstreit zu tun habe, wird übergangen. Offizielle Auskunft eines Pressesprechers: "Nachdem die endgültige Deadline schon der 30. Juni ist, ist es ratsam, die Entscheidung so bald wie möglich zu fällen und nicht erst am allerletzten Tag." Zudem habe die Kommission volles Vertrauen in den wissenschaftlichen Prozess und weist darauf hin, dass die gesundheitlichen Bedenken der EFSA bezüglich eines häufig verwendeten Zusatzstoffes in glyphosathältigen Pflanzenschutzmitteln, Tallowamin, in die Beratung einfließen soll.
Auch laut der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), der für Österreich zuständigen Behörde läuft alles nach Plan, es handle sich um einen regulären Neuzulassungsprozess.
Alles ist geheim
Andere hegen hingegen Zweifel an der Wissenschaftlichkeit der Bewertung sowie am Bewertungsprozess selbst. Zum einen hält die EFSA nach wie vor drei Industriestudien zur Bewertung von Glyphosat zurück. Genau diese drei Studien sollen erklären, warum die EFSA anders als die Krebsexperten der Weltgesundheitsorganisation Glyphosat für unbedenklich hält.
Die Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) hat schon im Dezember 2015 deren Veröffentlichung beantragt. Die EFSA teilte daraufhin mit, dass die Eigentümer der Studien – allesamt glyphosatherstellende Firmen - einer Veröffentlichung widersprochen hätten. Sie beruft sich auf Geschäftsgeheimnisse. Auch Studienautoren werden geheim gehalten, vorgeblich zum Personenschutz. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse der WHO-Experten basieren im Gegensatz dazu auf allen öffentlich zugänglichen Studien zu Glyphosat.
Die Umdeutung der WHO-Ergebnisse durch die EFSA ist laut Kritikern wie WHO-Forscher Christopher Portier zudem weit weg von allen wissenschaftlichen Standards.
Reiner Expertenentscheid
Der ganze Zulassungsprozess verläuft nach Ansicht von Martin Pigeon von CEO ebenfalls höchst fragwürdig. Das Ganze ist keine politische Entscheidung wie auch das Landwirtschaftsministerium auf Anfrage von science.ORF.at betont: "Das ist keine politische Entscheidung, sondern eine Expertenentscheidung. Der Minister mischt sich nicht ein. ". Daher ist unklar, wer eigentlich entscheidet, denn die Namen der Experten im Gremium sind ebenfalls geheim. CEO hat bei allen zuständigen nationalen Behörden auch diese Offenlegung gefordert. Erfahren hat sie maximal die Anzahl der Experten, bei der AGES sind es laut CEO insgesamt sechs Person, die für den Bewertungsprozess zuständig sind.
Für die Republik Österreich sitzen also von der AGES ausgewählte Experten im Ausschuss. Wie werden sie entscheiden? Das ist offen, sagt die AGES auf Anfrage, aber sie werden sich für strengere Auflagen bei der Anwendung einsetzen, und vor allem die Umweltauswirkungen von Glyphosat sollen bei der Neubewertung berücksichtigt werden.
Manche nationalen Behörden stehen der EFSA-Empfehlung bei weitem kritischer gegenüber. Die französische Lebensmittelbehörde ANSES forderte erst im Februar eine Neubewertung von Glyphosat durch die Europäische Chemikalienagentur (ECHA).
Fragwürdiges Risikomanagement
Entscheiden werden diese nationalen Behörden und zwar dieselbe Gruppe von Experten, die auch für die Bewertung des Risikos zuständig ist. Überspitzt formuliert: Die Experten bewerten ihre eigenen Einschätzung. Dass die Europäische Kommission bei derartigen Entscheidungen nicht sauber zwischen Risikobewertung und -management trennt, hält CEO-Mitarbeiter Pigeon für einen untragbaren Zustand, der nicht nur Glyphosat betrifft.
Die Politik wird zwar auf diese Weise aus dem Neuzulassungsprozess völlig rausgehalten, und der Eindruck eines objektiven Expertenentscheids erweckt. Kommen die Experten allerdings aus anderen - nicht in die Entscheidung involvierten - Behörden, traut man ihnen offensichtlich nicht die entsprechende Objektivität zu, Stichwort IARC.
Auch in naher Zukunft anstehende internationale Neubewertungen sollen anscheinend nicht in das europäische Zulassungsverfahren einfließen. Denn schon Anfang Mai gäbe es ein außerordentliches Treffen der FAO und der WHO, bei dem es ebenfalls um die gesundheitliche Auswirkungen von Glyphosat gehen soll. Das erweckt zumindest den Eindruck, dass kritische Stimmen nicht berücksichtigt werden können oder sollen.
Eva Obermüller, science.ORF.at