Dabei ist schnelle psychologische Versorgung wichtig. Bleibt diese aus, kann das langanhaltende Folgen haben.
Empirische Untersuchung in Serbien
Familienmitglieder und Freunde getötet, das Zuhause zerstört. Gefoltert, misshandelt, vergewaltigt, Zeuge von Sterben und Gewalt, Explosionen und Schüssen. Welche psychischen Folgen solche Erfahrungen haben, das untersucht derzeit der Psychoanalytiker und Psychiater Sverre Varvin von der Universität Oslo als Teil eines internationalen Forschungsteams.
Seit Jänner versuchen er und seine Kolleginnen und Kollegen in Durchgangszentren in Serbien eine Bestandsaufnahme der psychischen Beschwerden vorzunehmen. "Die häufigsten Symptome sind Deressionen, sehr oft schwere Depressionen, hervorgerufen durch Verlusterlebnisse. Danach kommen die posttraumatische Zustände, insbesonders Angstattacken."
Bis zu 40 Prozent traumatisiert

Sverre Varrin
Der Psychoanalytiker und Psychiater Sverre Varvin von der Universität Oslo war auf Einladung der Wiener Psychoanalystischen Vereinigung in Wien zu Gast.
Ö1 Sendungshinweis
Über das Thema berichtete auch das Morgenjournal am 2.3. um 7:00.
Rund 20 bis 40 Prozent der Erwachsenen Kriegsflüchtlinge und 20 bis 30 Prozent der Kinder, die nach Europa kommen, sind traumatisiert, schätzen Experten. Entlang der Balkanroute leistet aktuell u.a. die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen erste psychologische Hilfe.
Wichtig sei, dass Betroffene im Aufnahmeland dauerhaft und schnell Unterstützung von Psychologen und Psychiatern erfahren, so Sverre Varvin. Er sagt: Vom psychischen Wohlbefinden hängt ab, ob die Integration gelingt: "Was zu Hause gut war, muss man im Exil neu erschaffen. Man muss so schnell wie möglich, wieder ein Heimatgefühl entwickeln können."
Entmenschlichung und Retraumatisierung
"Die Kriegserfahrungen im Heimatland führen bei Betroffenen zu einem Gefühl der Entmenschlichung", so Sverre Varvin. Das Drängen in die Passivität, Stichwort Arbeitsverbot, und mangelnde soziale Beziehungen im Aufnahmeland, sowie Erfahrungen mit Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, würden dieses Gefühl befördern und können retraumatisierend wirken.
Das gilt auch für den Anblick von schwer bewaffnetem Militär und Panzern im Aufnahmeland, wie es derzeit in Spielfeld der Fall ist: "Ein Hauptkennzeichen von posttraumatischen Zuständen ist, dass man sehr sensibel auf Zeichen, Symbole und Details reagiert, die an die traumatisierenden Erlebnisse im Heimatland erinnern."
Die Folge sind Flashbacks, Angstzustände und andere Symptome. Sie erschweren es, eine neue Sprache zu lernen, eine Ausbildung abzuschließen und einer Arbeit nachzugehen.
Erfahrungen aus den 1990ern
Sverre Varvin begleitet und analysiert unter anderem den psychischen Zustand vietnamesischer Flüchtlinge, die Norwegen in den 1990er Jahren aufgenommen hat. Deren Kinder schneiden in der Schule mittlerweile besser ab als die autochtonen norwegischen Kinder.
In den 1990ern sei die politische Stimmung allerdings wohlwollender gewesen: "Ich glaube, dass die Krise in Europa eher eine humanistische Krise als eine Flüchtlingskrise ist."
Separate Klassen für Flüchtlingskinder hält Sverre Varvin anfangs für sinnvoll. Doch gelte es, die Kinder möglichst bald in reguläre Klassen zu integrieren, damit sie sich als Teil der Gemeinschaft fühlen können.
Tanja Malle, Ö1 Wissenschaft
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