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Buckelwal springt aus dem Wasser

Das große Fressen am Kap Kabeljau

Wenn Heringe durch den Atlantik zu ihren Laichgründen ziehen, erwartet sie dort der tausendfache Tod. Das nahende Ende hat einen musikalischen Auftakt, wie eine Studie zeigt: Wenn Wale zu singen beginnen, steht ihr Angriff unmittelbar bevor.

Jagende Wale 03.03.2016

Im Frühherbst beginnt für Grönland-, Buckel- und Killerwale das große Fressen. Ort der ultimativen Mahlzeit ist der Golf von Maine, ein Randmeer des Atlantiks an der Ostküste Nordamerikas. Hier endet die Reise atlantischer Heringe, die sich einmal pro Jahr zur gemeinschaftlichen Fortpflanzung treffen.

Die Schwärme sind riesig und können mitunter Milliarden von Individuen umfassen - kein Wunder also, dass die Wale auf die Heringe aufmerksam werden. Und nicht nur sie: Auch Wissenschaftler begleiten die Fischschwärme immer wieder, um ihr Verhalten zu studieren. So etwa Purnima Ratilal und Nicholas Makris.

Angriff in der Nacht

Das amerikanische Forscherpaar wollte im Jahr 2006 die Bewegungen der Heringe mit Hilfe eines akustischen Überwachungssystems aufzeichnen. Zu diesem Zweck installierten die beiden 160 Unterwassermikrofone in der Umgebung des Cape Cod - zu Deutsch: Kap Kabeljau. Auf den ersten Aufnahmen waren neben den üblichen Signalen auch seltsame Töne zu hören, die sich nach einiger Zeit als Gesänge von Walen entpuppten.

Hörbeispiel 1: Finnwale

(c) Delin, Makris & Ratilal, Northeastern University & MIT

Studie

"Vast assembly of vocal marine mammals from diverse species on fish spawning ground", Nature (2.3.2016).

So sattelten die beiden kurzerhand um und begannen das Verhalten der Meeressäuger zu studieren. Die Ergebnisse ihrer mehrjährigen Untersuchungen sind nun im Fachblatt "Nature" nachzulesen - sie sind durchaus beeindruckend: Denn sie zeigen, wie strategisch die Wale bei ihrer Jagd vorgehen.

"Laichende Heringe bilden untertags keine großen Schwärme, weil das zu gefährlich für sie wäre", sagt Makris. "Sie treffen sich erst, wenn die Sonne untergeht. Kurz darauf geraten die Wale außer Rand und Band."

Jagdreviere nach Arten getrennt

Wie die beiden Forscher berichten, setzen die Säuger bei der Jagd auf arbeitsteiliges Teamwork. Zunächst umkreisen sie den Schwarm und lassen Luftblasen aufsteigen, um die Fische in Formation zu halten. Ist das geschehen, stößt einer der Wale einen lauten Schrei aus.

Daraufhin drängen sich die verschreckten Heringe instinktiv noch dichter zusammen und liefern sich damit ihren Feinden endgültig aus. Kurz darauf ertönt noch ein Ruf. Es ist das Signal zum Angriff: "Dann kommen sie - mit aufgesperrten Mäulern", sagt Makris.

Hörbeispiel 2: Zahnwale

(c) Delin, Makris & Ratilal, Northeastern University & MIT

Nachdem in der Umgebung des Kap Kabaljau bisweilen mehr als ein Dutzend Wal- und Delfinarten jagen, könnte man erwarten, dass die Angelegenheit in ein chaotisches Gemetzel ausartet. Doch die Verhältnisse sind wohlgeordnet, schreiben Ratilal und Makris in ihrer Studie. An den Rändern des Laichgebiets haben die Buckelwale ihr Jagdterritorium, weiter innen folgen Finnwale, Minkwale, Grönlandwale und so weiter - alles säuberlich nach Arten getrennt.

Dass die Wale zu dieser organisatorischen Leistung fähig sind, hat wohl auch mit ihren Gesängen zu tun. Diese sind nämlich in ihrer Melodieführung und Tonhöhe so unterschiedlich, dass sich die einzelnen Arten kaum in die akustische Quere kommen. "Manche Zahnwale klingen wie zwitschernde Vögel", sagt Ratilal. Am anderen Ende des musikalischen Spektrums liegen die Finnwale, fügt ihr Mann hinzu: "Sie haben die Stimmlage einer Bassgitarre."

Robert Czepel, science.ORF.at

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