science.ORF.at: Nach allgemeiner Übereinkunft entstand das Universum vor mehr als 13 Milliarden Jahren mit dem Urknall. Blicken wir ans andere Ende der Geschichte: Wie wird das Universum zu Ende gehen?
Ruth Durrer: Nach unseren momentanen Daten wird das Universum von einer Kosmologischen Konstante dominiert. Das heißt: Es dehnt sich immer schneller und schneller aus. In etwa 13 Milliarden Jahren werden wir außer unseren Nachbargalaxien im Universum gar nichts mehr sehen.

Universität Genf/Ruth Durrer
Zur Person
Ruth Durrer ist Professorin für Astrophysik an der Universität Genf. Forschungsgebiete: Kosmische Hintergrundstrahlung, Dunkle Energie und Gravitationswellen.
Das Universum wird leer und dunkel sein?
Ja, so könnte man es ausdrücken. Die Milchstraße, die Andromeda-Galaxie, die Magellanschen Wolken und ein paar kleinere Objekte werden miteinander verschmelzen und immer mehr Schwarze Löcher bilden. Dadurch wird es immer weniger Sterne geben.
Aber dieser Zustand ist ja noch nicht das absolute Finale. Einer anderen Theorie zufolge könnte alles in einem "Big Rip" enden: dann nämlich, wenn die Ausdehnung des Raumes so rasant verläuft, sodass das Universum förmlich zerrissen wird.
Das könnte im Prinzip so sein. Doch unsere Daten sprechen zurzeit dagegen. Wenn das Universum von einer Kosmologischen Konstante dominiert wird, endet das Universum eher in einem Kältetod. Dann wird es immer leerer und kälter. Ein "Big Rip" ist nur möglich, wenn die Dunkle Energie noch verrückter ist und einen noch extremeren negativen Druck aufweist.
Sie haben die Begriffe "Kosmologische Konstante" und "Dunkle Energie" verwendet. Das ist nicht das Gleiche, oder?
Nein, die Dunkle Energie ist der Überbegriff: Die Kosmologische Konstante wäre eine Möglichkeit, wie sich die Dunkle Energie im Universum manifestiert. In diesem Fall wäre der negative Druck, der die Ausdehnung des Raumes verursacht, konstant. Diese Idee geht auf Albert Einstein zurück. Er wollte die Konstante später wieder loswerden, aber wie es aussieht, hatte er Recht.
Woher kommt die Kraft, die das Universum ausdehnt?
Das kann ich auch nicht so genau sagen. Die Ausdehnung ist dem Vakuum inhärent, so gesehen handelt es nicht um eine Kraft - es wäre wohl besser zu sagen: Die beschleunigte Ausdehnung ist der Grundzustand des Universums.
Das heißt, die Physiker ziehen sich auf den Standpunkt zurück: Die Natur ist so - wir können sie beschreiben, aber wir können sie nicht erklären?
Das machen wir ja immer, die Physik ist eine Beschreibung der Natur. Davon abgesehen: Was hieße denn "erklären"? Dass man einen Tatbestand auf einen anderen zurückführt, den man als wahr annimmt?
Erklärungen lassen sich jedenfalls in Kettenform anordnen, vom Speziellen zum Allgemeinen. Ist die Physik hier ans letzte Kettenglied gelangt - und somit an den Rand ihrer Erklärungsmöglichkeiten?
Das ist in der Kosmologie immer ein Problem. Wo geht die wissenschaftliche Erklärung in eine philosophische Haltung über?

NASA/WMAP
Es gab früher ein Modell mit dem Namen "Big Crunch". Demnach könnte sich das Universum in ferner Zukunft wieder zusammenziehen und gewissermaßen in einem Endknall enden. Hat dieses Modell noch irgendeine Bedeutung?
Ein "Big Crunch" wäre möglich unter zwei Voraussetzungen, erstens: Die Dunkle Energie müsste durch einen Phasenübergang verschwinden. Zweitens: Das Universum müsste eine positive Krümmung aufweisen. In diesem Fall würde die Materie die Ausdehnung des Universums in eine Kontraktion umwandeln.
Die Dunkle Energie könnte sich in Luft auflösen?
Nein, sie könnte sich bei einem Phasenübergang in Materie umwandeln.
Und dieser Phasenübergang hätte welche Ursache?
Er würde einfach bei einer bestimmten Temperatur passieren. So wie Wasser unter null Grad zu Eis gefriert. Da müssen Sie gar nichts machen, das passiert von selbst, weil dieser Zustand energetisch günstiger ist.
Wie kann man entscheiden, ob die Dunkle Energie verschwindet oder nicht? Wir können ja nicht nochmal 13 Milliarden Jahre warten.
Ganz genau. Um das zu entscheiden, bräuchten wir eine Theorie, die uns zeigt, was die Dunkle Energie ist - die haben wir momentan leider nicht.
Denken Sie bei solch grundsätzlichen Fragen manchmal an Gott?
Es gibt sicher Kollegen, die das tun. Ich persönlich tue das nicht.
Zumindest wurde der Urknall schon mit der Idee vom unbewegten Beweger in Verbindung gebracht.
Stimmt, doch das Problem ist: Wenn ich einen unbewegten Beweger einführe, der selbst nicht mehr von außen angestoßen werden muss, dann kann ich ja gleich behaupten: Das Universum musste für den Urknall nicht von außen angestoßen werden. Ich habe nichts dagegen, wenn Leute an Gott glauben wollen. Aber logisch ableiten kann man das nicht.
Sie haben nun eine Studie veröffentlicht, in der Sie zeigen, wie man die Zukunft des Universums simulieren kann. Warum ist das so schwierig?
Die Studie
"General relativity and cosmic structure formation", Nature Physics (7.3.2016).
Bisher hat man solche Simulationen immer mit der Newtonschen Gravitationstheorie berechnet. Nimmt man dafür die Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie, wird die Sache viel komplizierter, die Gleichungen sind extrem schwierig zu lösen. Dafür können wir auf diese Weise auch die Strukturbildung im Universum und die Wirkung der Dunklen Energie beschreiben. Unser Code läuft derzeit auf dem Supercomputer in Lugano. Das ist der schnellste Rechner Europas - für die Lösung der Gleichungen braucht er dennoch tausende Stunden.
Können Sie die Entwicklung des ganzen Universums simulieren?
Noch nicht, momentan beschreiben wir nur einen Raumausschnitt, der im Durchmesser einige Gigaparsec groß ist. Das ist ungefähr ein Zehntel oder ein Hundertstel des sichtbaren Universums.
Was kann man mit diesem Modell machen?
Wir wollen Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie auf kosmologische Skalen testen. Denken Sie an die Gravitationswellen, die kürzlich mit Hilfe der LIGO-Detektoren nachgewiesen wurden. Die stammen von Schwarzen Löchern: Da sprechen wir von maximal hundert Kilometer im Durchmesser. Die Skalen, auf denen wir die Theorie testen wollen, bewegen sich im Bereich von Milliarden Lichtjahren.
Womit wäre das möglich?
Wir hoffen, dass der Euklid-Satellit einige der von uns berechneten Effekte messen kann. Er soll im Jahr 2020 starten.
Angenommen, die Allgemeine Relativitätstheorie besteht diesen Test nicht. Was wäre dann?
Das wäre superinteressant. In diesem Fall müssten wir Einsteins Gleichungen verändern. Es wäre natürlich möglich, dass wir die Messdaten falsch interpretiert haben.
Auf die Ausdehnung des Raumes schließen die Physiker durch die Rotverschiebung des Lichts ferner Galaxien. Könnte sich daran etwas ändern?
Die Rotverschiebung ist sehr gut gesichert. Es könnte aber sein, dass dieser Effekt dadurch entsteht, weil der Elektromagnetismus früher schwächer war als er heute ist. Diese Idee ist aber nicht neu. Sie ist schon seit den Arbeiten von Hermann Weyl aus den 1920er Jahren bekannt.
Sollte das zutreffen, wäre das Universum eigentlich statisch?
So ist es.
Das ist ja unglaublich.
Und wissen Sie, was noch unglaublicher ist? Das ist nur Ansichtssache. Das ist genau dieselbe Physik.
Verzeihung, aber das verstehe ich nicht.
Die beiden Modelle lassen sich nicht voneinander unterscheiden. Wirklich ist nur, was wir messen können. Der Rest sind Bilder, die wir uns von der Welt machen.
Interview: Robert Czepel, science.ORF.at
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