Standort: science.ORF.at / Meldung: "Kritik an Studie zu islamischen Kindergärten"

Eine muslimische Mutter oder Lehrerin lernt mit einem Kind

Kritik an Studie zu islamischen Kindergärten

Verachtung des Westens, ein veraltetes Sündenverständnis und radikalislamische Gedanken: Tendenzen wie diese ortete die jüngst vorgestellte Studie zu islamischen Kindergärten in Wien. Sie wirbelte viel politischen Staub auf. Den wissenschaftlichen Wert der Studie kritisiert nun die Sozialwissenschaftlerin Andrea Schaffar.

Methoden 23.03.2016

Sie findet es zwar prinzipiell gut, dass der Islamwissenschaftler Ednan Aslan von der Universität Wien und sein Team die Kindergärten untersucht haben. Und auch sie sieht einigen Forschungs- und Handlungsbedarf. Aber methodisch halte die Studie nicht, und deshalb seien auch ihre Ergebnisse fragwürdig.

Ednan Aslan wurde im Vorfeld von science.ORF.at kontaktiert und mit der Kritik konfrontiert. Nach der massiven Medienpräsenz rund um das Erscheinen der Studie will er diese nun öffentlich nicht mehr kommentieren, sondern nach vorne schauen. Seit Kurzem ist bekannt, dass bis Mai 2017 eine große Studie zu dem Thema veröffentlicht werden soll, an der er gemeinsam mit fünf anderen Forschern und Forscherinnen arbeitet.

"Sozialwissenschaften haben keinen guten Ruf"

Andrea Schaffar hält in diesem Semester Vorlesungen zur sozialwissenschaftlichen Methodik an der Universität Wien und an der Technischen Universität Wien. Seit einigen Jahren schreibt sie auf "ScienceBlogs", wo sie auch ihre Kritik an der im Dezember erschienenen Kurzfassung der Kindergartenstudie veröffentlicht hat.

Aus der akademischen Szene habe sie viel Beifall dafür bekommen, erzählt sie science.ORF.at – allerdings nur hinter vorgehaltener Hand. Öffentlich Kritik üben an der Arbeit eines Professorenkollegen will kaum einer bzw. eine. Warum Andrea Schaffar das tut? "Mich hat die Studie sehr gefuchst, denn mit ihren Ergebnissen wird Politik gemacht. Die Sozialwissenschaften haben sowieso keinen guten Ruf. Und wenn so unexakt gearbeitet wird, ist das auch kein Wunder."

Theoretische und empirische Defizite

Zur Vorgeschichte: Nach langem Hin und Her und politischen Querelen zwischen dem Wiener Rathaus und dem Integrationsministerium, dem Auftraggeber, war die Studie Ende Februar endlich in der Langfassung erschienen. Die APA fasste die Ergebnisse so zusammen: "In der religiösen Erziehung kommen in den untersuchten Einrichtungen vor allem traditionelle Bilder zum Einsatz - etwa strafende und belohnende Gottesbilder. Kinder würden mit einem 'veralteten Sündenverständnis eingeschüchtert' und ihnen die Entwicklung zur Mündigkeit genommen werden. Die eigene Religion werde mitunter vor anderen Religionen und Weltanschauungen aufgewertet."

Schaffars Kritik betrifft nun weniger die Inhalte der Studie als ihre Methode – und zwar sowohl im theoretischen wie auch im empirischen Teil, und erst recht in der Vermischung der beiden.

Zum theoretischen Teil: Rund ein Drittel des Textes besteht aus einer Beschreibung der Trägervereine der Kindergärten, zusammengetragen aus deren Selbstdarstellungen. "Es wird aber nicht geklärt, in welchem Verhältnis diese Trägervereine zu den Kindergartenbetreibern stehen", moniert Schaffar. "Es wird lediglich postuliert: Es wird schon einen Zusammenhang geben. Das ist aber keine Wissenschaft."

Nicht transparent und nicht nachvollziehbar

Aslan fasst in seiner Studie die pädagogischen und religiösen Profile der Trägervereine in vier Gruppen zusammen und findet dafür folgende Überschriften 1) intellektueller Salafismus, 2) politisch-religiöser Islamismus, 3) Kindergärten als Wirtschaftsunternehmen und 4) Kindergärten mit Offenheit für andere Kulturen und Religionen.

"Diese Gruppierungen stammt aber nicht aus dem empirischen Material, also nicht aus den Gesprächen in den Kindergärten, sondern aus der 'Dokumentenanalyse', sprich den Selbstdarstellungen der Trägervereine", sagt Schaffar. Beide Bereiche würden "in einen Topf gehauen", nicht zuletzt auch in der medialen Berichterstattung und in den politischen Reaktionen. Und auch die Dokumentenanalyse selbst sei nicht transparent und nachvollziehbar.

Kritik an Sampling und Leitfadeninterviews

Was die wissenschaftlich korrekte Vorgangsweise gewesen wäre? Laut der Sozialwissenschaftlerin, "sich erst eine Übersicht zu verschaffen, welche Trägervereine es gibt, Vermutungen zu äußern, wie diese rechtlich mit den Kinderbetreuungseinrichtungen zusammenhängen und dies dann zu untersuchen."

Das gehe aber nur, wenn man mit den zuständigen Behörden zusammenarbeitet, in dem Fall mit der MA 11, dem Amt für Jugend und Familie der Stadt Wien. "Jeder Kindergarten muss ein Bewilligungsverfahren durchlaufen. Darin zeigt sich, welche politische, religiöse und pädagogische Ausrichtung sie haben", so Schaffar.

Auf Grundlage dieses Wissens könnte man dann das Sampling machen, also jene Kindergärten auswählen, die dann empirisch untersucht werden. "Sampling heißt nicht: Man spricht alle an, und wer mitmachen will, macht mit." Zur Information: Aslan hatte bei 15 Trägervereinen um die Projektteilnahme angefragt, von denen acht zusagten.

Doch nicht nur die Auswahl der Kindergärten kritisiert Schaffar, sondern auch die dort verwendete empirische Methode. Aslan und sein Team haben nämlich mit der Leitung der Kindergärten, Pädagoginnen und Eltern leitfadengestützte Interviews durchgeführt. "Das ist letztlich ein Erzählen über die eigene Praxis und nicht ein Verweis auf das, was die Menschen wirklich machen."

Um das herauszufinden gebe es bessere Instrumente, sagt die Sozialwissenschaftlerin. Etwa die teilnehmende Beobachtung oder Gruppendiskussionen: "Dabei bringt man Leute zusammen. Die Teilnehmer erzählen dann nicht den Wissenschaftlern, was sie glauben, das richtig ist, sondern sie sprechen miteinander. D. h. sie führen einen Teil ihres Alltags wieder auf und so kann man Prozesse rekonstruieren."

Doch keine "Grounded Theory"

Welche Methode liegt der Studie überhaupt zugrunde? "In der Erstfassung war noch von 'Grounded Theory' die Rede – ein Ansatz, der aus qualitativen Daten Theorien entwickelt. Man kann damit z.B. aus dem, was die Leute erzählen, erklären, wie pädagogische Ansätze umgesetzt werden. Im Abschlussbericht wird die 'Grounded Theory' nicht mehr erwähnt, jetzt steht als Methode nur noch 'qualitativ-empirisch'. Doch die gibt es nicht, das ist ein Überbegriff."

Was es schon gibt, seien inhaltsanalytische Verfahren, etwa jenes, das der Sozialwissenschaftler Philipp Mayring begründet hat – "doch die fehlen bei der Kindergartenstudie komplett."

Die Erklärung Aslans, dass es sich bei seiner Arbeit nur um eine Vorstudie handle, die als Vorarbeit für die nun folgende größere dient, will Schaffar nicht gelten lassen. "Wissenschaftliche Kriterien gelten immer, egal wie groß der Rahmen ist."

"Unglaublicher Forschungsbedarf "

Prinzipiell findet es die Sozialwissenschaftlerin wichtig und gut, dass die islamischen Kindergärten untersucht wurden. "Ich habe selbst in dem Bereich gearbeitet. Ich weiß, dass es an vielen Enden Probleme gibt, und das weiß auch jeder in der Stadt Wien: Die Anzahl der Kindergruppen hat sich in etwa vervierfacht, das Personal hingegen nicht. Die gleiche Anzahl an Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen muss die Kindergruppen kontrollieren, Personal abnehmen usw. D.h. es besteht ein unglaublicher Forschungsbedarf."

Der soll mit einer neuen Studie nun bis 2017 auch tatsächlich gedeckt werden. Und was wenn mutmaßlich salafistische Pädagogen oder Pädagoginnen auch dann nicht bereit sind, mitzumachen bzw. ihre wahren Absichten zu erkennen geben? "Umso wichtiger ist es, mit der MA 11 zu kooperieren, weil es zwischen ihr und den Kindergärten eine Zusammenarbeitspflicht gibt (das wird der Fall sein, Bund und Stadt arbeiten nun zusammen, Anm. d. Red.). Verstecken kann man sich immer, aber bei Zusammenarbeit mit den Behörden ist das schwieriger. Ich vermute ja, dass es solche Kindergärten gar nicht gibt."

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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