Langwierig und schwierig waren sie, die Verhandlungen beim letzten Klimagipfel in Paris. Immerhin: Am Ende hielten die Vertreter der internationalen Staatengemeinschaft ein unterschriftsreifes Vertragswerk in Händen.
Die feierliche Unterzeichnung soll am 22. April in New York stattfinden. Obama wird dort sein, auch andere Regierungschefs werden es sich nicht nehmen lassen, den umweltpolitischen Erfolg – oder zumindest Etappenerfolg – medienwirksam zu präsentieren.
Unscharf bis widersprüchlich
Juristisch betrachtet ist der Vertrag von Paris freilich kein Text, der Puristen befriedigen würde. Er ist Ausdruck des Kompromisses, bisweilen vage formuliert, in mancherlei Hinsicht sogar widersprüchlich. Die Amerikaner gingen in die Verhandlungen mit der Vorgabe,
sie seien nur freiwillige Klimaschutzziele abzugeben bereit. Die Europäer wollten das Gegenteil – ein völkerrechtlich verbindliches Konstrukt, so wie es schon beim Kyoto-Protokoll der Fall war.
Nachlese
Oliver Geden: "An actionable climate target", Nature Geoscience (4.4.2016).
Simon Dietz et al.: "‘Climate value at risk’ of global financial assets", Nature Climate Change (4.4.2016).
Herausgekommen ist nun ein Vertragswerk, das in realpolitischer Dialektik tatsächlich beides leisten will: Die Emissionsminderungen für die Post-Kyoto-Phase ab 2020 ist Sache der Unterzeichnerstaaten. Sie bestimmen selbst, wie stark sie ihren Ausstoß von Klimagasen drosseln wollen. Völkerrechtlich verbindlich indes ist nur die formale Weiterführung – jenes Verfahren, das die Verlängerung des Abkommens in Fünf-Jahresschritten regelt.
Die Vorgabe: Was die Staaten in der Periode x an Beiträgen zum Klimaschutz anbieten, darf nicht schlechter sein als das vorhergehende Angebot. So haben beide, Europäer wie Amerikaner, ihr Ziel erreicht.
Drei Klimaziele, nicht eines
Wer meint, der Pariser Vertrag habe ein Ziel, wird eines besseren belehrt: Der Vertrag sieht deren drei vor. Da ist zum einen die Vorgabe, die globale Temperatur dürfe im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter nicht um mehr als zwei Grad Celsius steigen. Auf Betreiben der Inselstaaten – die durch den steigenden Meeresspiegel unmittelbar vom Klimawandel betroffen sind – kam zusätzlich die historische Obergrenze von 1,5 Grad in den Vertrag.
Was im Klartext bedeutet: Wir wollen uns alle an die zwei Grad halten, aber noch besser wäre es, wenn wir 1,5 Grad nicht überschreiten würden. Alle dafür! Wenn der Konjunktiv die Lesart bestimmt, ist Zweifel angebracht. Rechnet man die abgegebenen Zusagen aller Staaten hoch, landet man bis 2100 bei drei Grad plus – optimistisch gerechnet.
Das dritte Ziel des Pariser Vertrags orientiert sich schlicht an den Emissionen. Die sollen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf Nullniveau sinken. Was nicht bedeutet, dass es keine Emissionen – etwa in der Landwirtschaft oder im Straßenbau – mehr geben wird. Das wäre auch unrealistisch.
Aber jeder Ausstoß von Klimagasen soll dann kompensiert werden durch Aufforstung oder durch neuartige Technologien, die der Atmosphäre CO2 entziehen. Diese Technologien gibt es noch nicht. Das hat manche Klimaforscher in der Vergangenheit freilich nicht davon abgehalten, mit Hilfe dieser "Negativemissionen" prognostische Budgetrechnungen anzustellen und ihren Auftraggebern aus der Politik ein gutes Gewissen zu bereiten: Wenn es denn möglich sein wird, der Atmosphäre CO2 zu entziehen, können wir unser derzeit überzogenes Konto wieder ausgleichen. Falls nicht, sieht es mit dem Zwei-Grad-Ziel leider schlecht aus.
Etikettenschwindel verhindern
Von solch fragwürdigen Berechnungen abgesehen gehe es bei dem Pariser Vertragswerk nun darum, den Text in konkrete Politik überzuführen, betont der deutsche Politikwissenschaftler Oliver Geden. Um dieses Ziel zu erreichen, argumentiert Geden im Gespräch mit science.ORF.at, sollte man die beiden Temperaturziele fallen lassen – und sich stattdessen auf die Nullemissionslinie konzentrieren.
Die zwei (oder 1,5) Grad hätten ihre Funktion als Debattenfokus erfüllt, aber als Handlungskeim für eine nachhaltige Klimapolitik seien sie ungeeignet. Denn: Ausweichen und Nichtstun ohne Konsequenzen seien im Rahmen des vage formulierten Vertrags relativ einfach. "Wenn man ein globales Temperaturziel hat, kann man eigentlich nicht sagen, welche Regierung für ein Scheitern verantwortlich ist."
Bei Nullemissionen ist egoistisches Handeln im Rahmen der internationalen Verantwortungsdiffusion hingegen nicht so leicht möglich. Wer Kohlekraftwerke baue, aber der Politik seines Landes die 1,5-Grad-Plakette verpasse, "muss sich zumindest die Frage gefallen lassen, ob das mit der angestrebten Emissionsbilanz vereinbar ist."
Säumige EU
Und falls nicht, was dann? Sanktionierbar sind UNO-Verträge wie das Pariser Klimaabkommen jedenfalls nur in der Theorie. In der Praxis hat schon das (rechtlich strenger formulierte) Kyoto-Protokoll gezeigt, dass, wer vertragsbrüchig wird, höchstens moralische Verurteilungen zu befürchten hat, mehr aber auch nicht. So bleibt denn nur zu hoffen, dass sich das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit, wie in Paris festgeschrieben, motivierend auswirkt.
Ein erster Schritt, dies unter Beweis zu stellen, ist die Ratifizierung des Vertrags. Die USA und China haben immerhin angekündigt, diese 2016 über die Bühne bringen zu wollen. In der EU – die sich bisher als Klimavorreiter geriert hat – dürfte das deutlich länger dauern. Der Europäischen Union ist es wegen der Blockadehaltung Polens noch nicht einmal gelungen, die zweite Phase des Kyoto-Protokolls zu ratifizieren. "Peinlich", lautet Oliver Gedens Kommentar.
Anschub durch Kosten?
Forscher der London School of Economics haben jüngst im Fachblatt "Nature Climate Change" berechnet, welchen Einfluss der Klimawandel auf die Finanzwirtschaft haben könnte. Fazit: Sollte sich am CO2-Ausstoß nichts ändern, drohen langfristig Einbußen von bis zu 25 Billionen Dollar.
Diese Studie wurde nach den Pariser Verhandlungen veröffentlicht, sie könnte allerdings einen Nerv treffen, den die Naturwissenschaftler mit ihren abstrakten Klimamodellen und Grenzwerten ohnehin nicht zu berühren imstande wären. Wo wirtschaftliche Kosten drohen, hat das Taktieren in der Regel schnell ein Ende.
Robert Czepel, science.ORF.at
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